Sektion Bonn

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Donnerstag, 27.04.2023 - 19:00

European Sky Shield Initiative (ESSI) – Ad hoc-Initiative zwischen strategischem Konzept der NATO, strategischem Kompass der EU und US-Agenda

Kann sich Deutschland eigentlich gegen Luftangriffe verteidigen? Welche Luftverteidigung benötigt die NATO zum Schutz kritischer Infrastrukturen?

Beginnend mit dem 13. Oktober 2022 unterzeichneten nunmehr 17 europäische Staaten, 15 davon sind NATO-Partner, das Abkommen für die European Sky Shield Initiative (ESSI). Dieses Abkommen zielt auf die Stärkung des europäischen Pfeilers der gemeinsamen NATO-Luftverteidigung, indem entsprechende Waffensysteme gemeinsam beschafft und betrieben werden. Die Gemeinschaft der Flugabwehr und Flugabwehrraketentruppe e.V. verfolgt im Rahmen einer Trilogie von Veranstaltungen zunächst die wissenschaftliche Verortung der Initiative im sicherheitspolitischen Gefüge. Es folgt im Rahmen von Nachfolgeveranstaltungen eine politische Standortbestimmung der deutschen Position. Den Abschluss der Reihe bildet schließlich der militärische Blick hinter die internationalen Kulissen von Beschaffung und Betrieb.
Fotos: Copyright Richard Rohde
Vortrag (Präsenz) + Webinar
Referent: PD Dr. habil. Markus Kaim , Senior Fellow, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Referent PD Dr. habil Markus Kaim


Generalleutnant a.D. Naskrent (Präsident GFF), Major Finkeldey (Stv Vorsitzender GFF)


Interessierte FlaRak-Zuhörer: Generalleutnant a.D. Schubert, Generalmajor a.D. Maeßen, Generalleutnant a.D. Finster, Generalmajor a.D. Giesa


Generalleutnant a.D. Hans-Dieter Naskrent (Präsident GFF), Major Thomas Finkeldey (Stv Vorsitzender GFF), Richard Rohde (SL GSB Bonn), Roland Heckenlauer (Geschäftsführer GSP Bonn), Referent PD Dr. habil. Markus Kaim, Susan Conrad (GFF), Joachim Schulz (Pressesprecher GSP Bonn), Claudia Klemm (Stv SL GSP Bonn)

 

Berichterstattung zum Vortrag „European Sky Shield Initiative (ESSI) – Ad hoc- Initiative zwischen strategischem Konzept der NATO, strategischem Kompass der EU und US-Agenda“

Herr PD Dr. habil. Markus Kaim von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin, trug zum Thema „European Sky Shield Initiative (ESSI) – Ad hoc-Initiative zwischen strategischem Konzept der NATO, strategischem Kompass der EU und US-Agenda“ in einer hybriden Kooperationsveranstaltung (ca. 90 Teilnehmer) in Kooperation mit der Gemeinschaft der Flugabwehr und Flugabwehrraketentruppe (GFF) vor.

In seiner Begrüßung ordnete der Präsident der GFF, Herr Generalleutnant a.D. Dieter Naskrent, die ESSI in den transatlantischen sicherheitspolitischen Rahmen ein und verwies auf Folgeveranstaltungen zum Thema aus militärpolitischer und militärischer Sicht.

Nach einer einleitenden Betrachtung zu den grundlegenden strategischen Dokumenten führte Dr. Kaim zu acht Punkten unter der Überschrift „Was ist das Neue und Bemerkenswerte?“ aus.

Er stellte fest, dass durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine jahrzehntealte sicherheitspolitische Gewissheiten als Gerüst deutscher Außenpolitik zerbrochen seien. Deutschland suche mit der ESSI eine größere Führungsrolle in der gemeinsamen Sicherheitspolitik. Es gehe zunächst um die politische Dimension in der „Zeitenwende“.

Die multinationale Initiative, der sich mittlerweile sechzehn europäische Nationen ohne Frankreich und Italien angeschlossen hätten, sei eine „Koalition der Willigen“, mithin zunächst ein freiwilliger und rechtsunverbindlicher Zusammenschluss außerhalb bestehender Organisationen wie NATO, EU oder VN mit weitreichenden Zielen. ESSI sei noch weitgehend eine „terra incognita“. Fragen der Struktur, des Zeithorizontes und der Finanzierung – also der Implementierungsrahmen - seien noch nicht adressiert worden.

Der Vortragende machte deutlich, dass ESSI eine ungewöhnliche - „schräge“ wie er es nannte – militärische Initiative als Beitrag der europäischen Nationen zugunsten der Anbindung an die NATO als sicherheitspolitischer Organisation sei.

Zugleich hob er hervor, das ESSI keine EU-Initiative sei – die EU spiele keine Rolle. ESSI sei zwar eine bemerkenswerte Initiative europäischer Staaten, aber vor dem Hintergrund der konkreten militärischen Dimension der Landes- und Bündnisverteidigung nicht als Rüstungsprojekt im Rahmen des strategischen Kompasses der EU gedacht.

Hieran knüpfte Dr. Kaim mit der These des vermutlichen Endes langwieriger gemeinsamer europäischer Rüstungsprojekte an. Angesichts der aktuellen Lage seien „Dinge von der Stange“ gefragt, die schnell und erprobt verfügbar seien wie z.B. das Kampfflugzeug F-35.

ESSI – so eine weitere These – zeige einen deutlichen Dissens in der deutsch-französischen Sicherheitspolitik. Dieses illustrierte er an den Vorstellungen zu Rüstungsprojekten (FCAS), einer europäischen Armee, der Rolle der französischen Nuklearkräfte für die gemeinsame Verteidigung sowie dem Verhältnis zu Russland und China. Die politischen Gewichte hätten sich nach Osten zu Polen und den Baltischen Staaten verschoben. Dr. Kaim sah ESSI als erstes Menetekel für neue intraeuropäische Projekte ohne Frankreich – aber dafür mit Polen.

Als vorletzten Gedanken nannte er eine neue Lastenteilung. Eigentlich sei die Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO eine „steinalte“ Vorstellung. Die strategische Autonomie sei aber insbesondere von Frankreich stets als „weg von, als autonom von den USA“ verstanden worden. Angesichts des starken US-Engagements für die Ukraine beobachte er aber einen Paradigmenwechsel. Die Lastenteilung in den transatlantischen Beziehungen sei neu zu definieren. Es gelte also den europäischen Pfeiler mit den USA zu stärken. ESSI könne hierzu einen Beitrag leisten als ein Projekt, das außerhalb der NATO gestartet sei, aber auf die Allianz ziele. Die „Rückkehr der USA nach Europa“ sei vermutlich nicht der neue Normalzustand, da weiterhin der Indo-Pazifik die strategische Priorität der USA bliebe. Europa müsse für seine Krisen selbst Vorsorge treffen.

Letztlich habe ESSI ein militärisches Ziel im Osten, aber eine politische Adresse im Westen. Es gelte den USA zu zeigen: die Europäer tun etwas.

Die anschließende, lebhafte Diskussion vertiefte die angerissenen Themenbereiche, insbesondere hinsichtlich eines Paradigmenwechsels, der Zielsetzung und Realisierung ESSI, des Verhältnisses zu Russland und China und der Rolle Frankreichs in der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

Dr. Kaim hat in einem kurzweiligen und kenntnisreichen Vortrag die ESSI in einen militärstrategischen Kontext umfassend, verständlich und nachvollziehbar eingeordnet. Er hat mit seiner Meinung nicht hinter den Berg gehalten. Seine Ausführungen und Thesen waren zum Teil unverhohlen, provokant und zugespitzt – aber damit wohltuend abgehoben von „main stream“ Sichtweisen und Interpretationen.

Fazit: Ein überaus komplexes Thema wurde spannend und verständlich vermittelt. Es hat sich einmal wieder gelohnt, dabei gewesen zu sein.

Diese Veranstaltung kann bei YouTube unter Gesellschaft für Sicherheitspolitik nachverfolgt werden. Link

Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn

Bilder: Richard Rohde


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