Sektion Elbe-Weser
Auf dem Weg zur neuen Weltordnung: Hybride Kriegsführung und die Zukunft des Krieges.
Referent: Oberst i. G. Sönke Marahrens , Direktor der Community of Interest für Strategie und Verteidigung am European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats (Hybrid CoE) in Helsinki, Finnland
Oberst i.G. Marahrens ist Direktor der Community of Interest für Strategie und Verteidigung und deutscher Vertreter am Europäischen Kompetenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen in Helsinki, Finnland. Er ist Luftwaffenoffizier und war zuvor Forschungsleiter für Strategie und Streitkräfte am German Institute for Defense and Strategic Studies in Hamburg. Neben einem Diplom in Informatik der UniBw hält er zwei Master-Abschlüsse des Royal Military College in Kingston, Kanada und der Universität der Bundeswehr in Hamburg in internationaler Sicherheitspolitik und Sicherheit. Er war mit der NATO in Bosnien und im Kosovo eingesetzt und diente 2020 als Bereichsleiter Transition im HQ Resolute Support in Kabul, Afghanistan.
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Wir haben verlernt, uns Märchen zu erzählen
Das Thema zog. Werner Hinrichs, Leiter der Sektion Elbe-Weser der Gesellschaft für Si-cherheitspolitik (GSP), konnte sich über einen so großen Zuspruch freuen, dass in den Räumen des EWE-Kundenzentrums kurzfristig noch zusätzliche Stühle für die zahlreich erschienen Zuhörer organisiert werden mussten.
Und der Vortrag von Oberst i.G. Sönke Marahrens startete auch gleich mit einer Provokati-on: „Stellen Sie sich vor, es ist krieg, und keiner merkt’s!“, um gleich darauf mit einem Ein-geständnis nachzulegen: „Das systemische Versprechen, dass der Staat für den (äußeren, Anm. des Verf.) Schutz der Bürger garantiert, ist nicht mehr erfüllbar.“ Was er damit mein-te, erklärte der deutsche Vertreter am Europäischen Kompetenzzentrum für die Bekämp-fung hybrider Bedrohungen in Helsinki, Finnland, in der darauf folgenden Stunde. Klassi-sche Kriege, mit Großheeren, die auf einem klar umrissenen Gefechtsfeld einander ge-genüber stünden, gehörten heutzutage zur Vergangenheit. Damit seien auch die Kriterien, ab welcher Situation man überhaupt von einem Kriegsakt sprechen könne verschwom-men. Doch diese Klarheit sei notwendig, um die Bundeswehr nach der derzeitigen Rechts-sprechung zum Einsatz zu bringen. Hybrider Krieg, also der koordinierte und synchroni-sierte Einsatz von Desinformation, Schattenarmeen oder Cyber-Angriffen, sei quasi die Antithese zu traditionellen Kriegsdefinitionen. „Doch, was ist die Synthese?“ so Marahrens. Die Erfahrungen aus kriegerischen Auseinandersetzungen habe in der Vergangenheit zu-mindest zu Errungenschaften wie dem Internationalen Roten Kreuz oder der Haager Land-kriegsordnung geführt. Oberst i.G. Marahrens ließ keinen Zweifel, wen er für die Unsicher-heit in Europa verantwortlich hält: Russland. Auch nach kritischen Nachfragen aus der Zu-hörerschaft unterstrich der Referent die Bemühungen Putins die systemischen Schwach-stellen der westlichen Demokratien anzugreifen: Wahleinmanipulationen, Beeinflussung von Schwergewichten der IT-Branche oder instrumentalisierte Migration. Dies alles führe dazu, dass das Vertrauen in den Staat oder die Demokratie erodiere. Hier könne auch die Bundeswehr nicht eingreifen, dazu sei jeder einzelne gefordert, egal ob aus Staat, Indus-trie oder Zivilgesellschaft. Habe es vor dem Internetzeitalter noch Monate gedauert, um ei-nen Desinformationskampagne zu führen, ginge das heutzutage dank KI in wenigen Stun-den. „Reden Sie mit ihren Kindern, fragen Sie sie, was sie sich auf tictoc so ansehen!“, so Marahrens’ Appell an das Publikum und weiter: „Wir haben verlernt, uns Märchen zu er-zählen!“ Es fehlten die richtigen Erzählungen, mit denen wir uns der Werte unserer frei-heitlich-demokratischen Grundordnung versicherten. Statt dessen werde die Realität neu ausgehandelt und relativiert, was Putins Handlungsraum erweitere. Die hybride Kriegfüh-rung zeichne sich hierbei als äußerst kosteneffizient aus. Ziel Putins sei die Ausdehnung der russischen Einflusssphäre über den postsowjetischen Raum hinaus auf ganz Europa, um seine geopolitische Position zu stärken. Die beiden jüngsten NATO-Mitglieder, Finn-land und Schweden, gingen mit dieser Situation vorbildlich um bereiteten die Bevölkerung darauf vor, im Ernstfall Widerstand leisten zu müssen. Finnland mache sich keine Illusio-nen darüber, dass sein Verzicht auf die Rückeroberung an Russland verlorener Gebiete trotz seiner regionalen militärischen Überlegenheit von Putin respektiert werde. Die Sicher-heitsgarantien, die Russland 1994 der Ukraine im Rahmen des Budapester Memoran-dums gegeben habe, und für die Kiew die auf ukrainischem Boden stationierten Atomwaf-fen an Russland aufgegeben habe, hatten gerade einmal zwanzig Jahre Bestand. „Die An-nektion der Krim wäre eigentlich für die USA und Großbritannien ein Kriegsgrund gewe-sen!“ stellte Oberst i.G. Marahrens fest. Das ukrainische Selbstverständnis laute folgerich-tig, dass sie nicht nur die eigene Freiheit, sondern auch die Westeuropas verteidige. Aber schon stünden autoritäre Staaten wie China in den Startlöchern, um mit großzügiger Wie-deraufbauhilfe politisches Kapital aus dem Leid der Ukrainer zu schlagen. Und selbst Russland geriere sich medienwirksam als Helfer in der Not… die es selbst verursacht ha-be. Am Ende sei es immer eine politische Entscheidung, wie weit man gehe wolle, um die territoriale und politische Unversehrtheit eines Staates zu verteidigen, der sich an der Wür-de des Menschen messen lassen wolle. „Wir werden uns noch viel verzeihen müssen.“ so die nachdenklichen Worte Marahrens’ und forderte sein Publikum auf „Erzählen Sie, wie toll Deutschland ist, und leben Sie es!“
Text: Axel Loos - Stellv. Sektionsleiter GSP-Sektion Elbe-Weser