Sektion Lippe

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Mittwoch, 20.10.2021 - 19:30

Afghanistan - warum endete es im Desaster?

Detmolder Schloßgespräche 2021

„Afghanistan – warum endete es im Desaster?" Dass es an diesem Abend bei den Detmolder Schlossgesprächen um eine schonungslose Aufarbeitung des westlichen Engagements im Land am Hindukusch gehen würde, versprach schon der Titel. Aber für Schönwetter-Reden ist Generalleutnant a.D. Richard Roßmanith von der Gesellschaft für Sicherheitspolitik keineswegs zu haben. „Wenn diejenigen, die man vor 20 Jahren aus dem Amt gejagt hat, wieder in Amt und Würden sind, dann ist das zumindest nicht erfolgreich", sagt er dazu.
Podiumsdiskussion

Der bittere Verlust der Glaubwürdigkeit

Der Leiter der Sektion Lippe Richard Roßmanith hat den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Winfried Nachtwei, eingeladen. Als Sprecher seiner Fraktion für Sicherheitspolitik und Abrüstung hat dieser das politische Ringen um die verschiedenen Afghanistanmissionen mitbekommen und mitgestaltet, war selbst häufig im Land unterwegs. Nachtwei erzählt im Ahnensaal des Schlosses von der Angst nach dem 11. September, über die niemand geredet habe. „Wir haben bei der Entscheidung unter enormem Druck gestanden." Eines sei klar gewesen: Afghanistan war ein Friedhof der Großmächte, schließlich seien auch die Russen unverrichteter Dinge wieder abgezogen. „Wir wollten auf keinen Fall Besatzer sein", man habe eine verlässliche Staatlichkeit in dem Land herstellen wollen, nachdem man die Taliban losgeworden sei. „Aber die personelle Ausstattung war sehr unausgewogen, und es gab einfach keine konkrete Aufgabenstellung.

"2008 habe er aus dem Munde eines ranghohen Soldaten vor Ort den Satz gehört: „Wir haben die Initiative verloren." Für Nachtwei hieß das damals schon: „Die Lage ist beschissen." Berlin habe das ignoriert, „das ist die Sicht von unten", habe es dort geheißen. Bis 2009 sei die Lage beschönigt worden, obwohl in Afghanistan längst ein Guerilla- und Terrorkrieg getobt habe. Die Lage sei kompliziert gewesen: Ein fast unlösbarer Versuch, die Bevölkerung auf die richtige Seite zu ziehen, sei schon daran gescheitert, dass die Landbevölkerung kaum erreicht werden konnte.

Die Loyalitäten gegenüber der Religion und den eigenen Landsleuten seien höchst komplex gewesen und man habe es mit einer überaus korrupten Elite im Land zu tun gehabt. Wie sinnvoll die Folgemission mit der Ausbildung von Spitzenkräften in der afghanischen Armee gewesen sei, stellt Nachtwei in Frage: „Die Zahl der Zivilopfer stieg dramatisch, ab 2014 um 20 Prozent, und bis 2017 waren 10.000 Gefallene unter den afghanischen Sicherheitskräften zu beklagen."Nachtwei sieht aber auch die andere Seite, denkt an all die Inseln von Fortschritt, beispielsweise die sechs berufsbildenden Schulen mit 1700 Studierenden, die bis vor wenigen Monaten noch unbehelligt lernen durften. Teilerfolge im Kleinen, Scheitern im Großen. Dass nach Donald Trump auch Präsident Joe Biden den Raus-Kursus verfolgen würde, sei klar gewesen, niemals aber diese ad hoc-Aktion.

Am 14. Mai 2021 sei eine frühe Warnung aus Afghanistan gekommen. „Wir haben es kommen sehen, aber wir sind gegen Wände gelaufen." Angeblich sei die Warnung versickert, irgendwo stecken geblieben. Dass die afghanische Armee kapituliert habe, habe am Ende ein Blutbad verhindert. Nun nehme die Entrechtung der Frauen zu, Pressefreiheit sterbe. „Wir haben eine krasse humanitäre Lage, und es galoppiert der totale Kollaps", sagt Nachtwei. All dies sei Folge von Unwissen der Entscheider in Berlin und anderen Hauptstädten über die Lage vor Ort – „Machbarkeitsillusionen", wie Nachtwei sie nennt, „eine Verleugnung der dezentralen Gesellschaftsstruktur mit zig Warlords bis hin zur „Realitätsleugnung." Nachtwei ist sicher: „Es lag nicht am Bodenpersonal. "Verspielt hätten die westlichen Mächte nun den Grundwert jeglicher Sicherheitspolitik: Die Verlässlichkeit. „Das hat es für die Bundeswehr nach einem Einsatz noch nie gegeben, und 90.000 Veteranen verdienen das Versprechen, dass wir daraus lernen werden." In dieser schonungslosen Analyse ist Generalleutnant Richard Roßmanith ganz auf der Seite des Gastredners.

Doch er hat noch was hinzuzufügen: Von Anfang an habe man sich mit den falschen Leuten eingelassen, denn die afghanische Regierung selbst sei von Korruption durchdrungen. „Präsident Hamid Kasai war selbst intern unser größter Widersacher", sagt er. Die Korruption sei ein Grundübel in vielen Krisenregionen. „Die Taliban hingegen sind nicht korrupt. "Die Afghanen hätten immer wieder Traumata erlebt: Zunächst hätten die Russen sie im Stich gelassen – immerhin deutlich geordneter als ihre Nachfolger – 2002 habe sich die USA abgewandt und sich dem Irak gewidmet, „und nun, im Sommer 2021, gibt es wieder Leute, die ihnen sagen: You are not any longer our business, Ihr geht uns nichts mehr an. "Und man lasse die Menschen zurück in dem Gefühl: Nun hilft uns keiner mehr, weil wir unsere ehemaligen Verbündeten gnadenlos im Stich gelassen haben." Das werde, davon ist Roßmanith überzeugt, Folgen haben für die Glaubwürdigkeit. Und das sei fatal: „Glaubwürdigkeit ist die zentrale Währung."

Organisator: Generalleutnant a.D. Richard Roßmanith , Sektionsleiter rossmanith-vizepraesident@gsp-sipo.de

 

Hier finden Sie einen Bericht der Lippischen Landeszeitung zu den Detmolder Schlossgesprächen am 20.10.2021.


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