Sektion Lippstadt

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Dienstag, 19.09.2023 - 19:00

Das Ende des Friedens? Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine

Seit dem 24. Februar 2022 haben russische Streitkräfte große Teile der Ukraine in Schutt und Asche gelegt. Im brutalen Strudel des vom Kreml entfachten Eroberungskriegs ist zugleich die europäische Sicherheitsordnung untergegangen. Dieser Epochenumbruch hat den politischen Mittelpunkt Europas genauso wie die Zukunft des Kontinents deutlich weiter nach Osten verschoben.
Die Ursachen, Erfahrungen und Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine thematisiert Prof. Dr. Klaus Gestwa, Direktor des Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen.
Vortrag und Diskussion
Referent: Prof. Dr. Klaus Gestwa , Universität Tübingen
Ort: Vortragsaal der VHS Lippstadt - Barthstraße 2 , 59557 Lippstadt
Organisator: Frau Mariella Bousabarah , Geschäftsführerin m.bousabarah@gsp-sipo.de
0176 393 282 73


Bericht zur Veranstaltung

Text:  Mariella Bousabarah, Geschäftsführerin der GSP-Sektion Lippstadt

Auf Einladung der GSP e.V. Gesellschaft für Sicherheitspolitik referierte Herr Prof Gestwa, Universität Tübingen, am 19.09.2023 im Saal der Volkshochschule vor zahlreichen Interessierten zum Thema: Das Ende des Friedens? Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Vortrag beginnt mit der Feststellung: Putin versucht, die Ukraine in ihrer aktuell bestehenden Form von der Landkarte zu tilgen; damit hat er das Gegenteil erreicht: die Ukraine verteidigt ihr Recht, als eigenständiger Staat ins 21. Jahrhundert aufzubrechen und ist damit in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt. Dieser Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist, wird mit Ideologien des 19. Jahrhundert begründet und mit Schlachtformen des 20. Jahrhunderts sowie Technologien des 21. Jahrhunderts ausgefochten. Das stärkste Mittel Putins ist die Verbreitung von Angst durch Drohungen und Einschüchterungen. Neu ist ein zusagen medial „gestreamter“ Krieg, der uns die grausamen Bilder in Echtzeit übermittelt. Im Kreml sind nicht Oligarchen die Drahtzieher, eine kleine Machtelite des Putin-Syndikat entscheidet über die Zukunft Russlands. Und diese Elite besteht aus unterschiedlichen Machtblöcken: Militär und Geheimdienste. Putin muss hier auf eine Balance achten. Einen wirklichen Einblick hinter die Mauern des Kreml hat aktuell niemand. Unterstützung findet Putin in dem orthodoxen Patriarchen Kyrill I und dessen öffentliche Dämonisierung der westlichen Welt. Eine Verhandlungslösung ist derzeit nicht absehbar, die Ukraine müsste dazu in eine militärisch und politisch stärkere Situation kommen um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Einen Waffenstillstand nur gegen Rückgabe aller besetzten Gebiete befürworten 90% aller Ukrainer. Game changer, so der Referent, könnte die Rückgewinnung der Krim sein als ein kultureller, politischer und militärisch bedeutender Ort. Ein Frieden gegen Territorium beschrieb der Referent als „Sargnagel für die regelbasierte Weltordnung – appeasement statt peace“. Die nächsten Opfer des russischen imperialen Ehrgeizes seien voraussehbar.

Prof. Gestwa beschrieb eindringlich die Situation der Menschen im Kriegsgebiet: 10 % des Wohnraumes ist unbewohnbar, 17 % des ukrainischen Staatsgebietes ist von Russland besetzt. Die Menschen werden nachts durch Luftangriffe aus dem Schlaf gerissen. Die Kriegserlebnisse machen einen geregelten Alltag unmöglich und wirken sich psychisch aus. In den besetzten Gebieten werden ukrainische Bücher verbrannt, Lenindenkmäler werden wieder aufgestellt, für alle Behördengänge, sowie soziale Dienstleistungen ist ein russischer Pass erforderlich. Die ukrainische Kultur soll durch eine Zwangsrussifizierung ausgelöscht werden.

Derzeit sind nach Angabe des Referenten 103 000 Verfahren wegen russischer Kriegsverbrechen anhängig, ein systematischer Kinderraub ist Teil der russischen Okkupationspolitik. Putin hat die Adoption dieser Kinder in vereinfachten Verfahren ermöglicht.

Prof Gestwa betonte in seinem Vortrag, dass auch die Ukraine noch einen Weg vor sich hat: „Unsere Solidarität mit der Ukraine muss eine kritische sein“.  Die ukrainischen Oligarchen werden nach dem Krieg an Macht verloren haben, eine Entflechtung von Kapital und Medien ist erforderlich, genauso wie Maßnahmen gegen Korruption und ein Umdenken im Umgang mit Minderheiten. „Die Stärke der ukrainischen Zivilgesellschaft gibt Hoffnung für die Zukunft, bei Russland bin ich weniger optimistisch. Dessen Wirtschaft ist strukturell unzeitgemäß und die Gesellschaft von Propaganda schwer kontaminiert“

Zusammenfassend erläuterte der Referent: für die heutige Situation fehlen uns noch die Konzepte, um diese angemessen beschreiben zu können.  Wir greifen daher auf den ersten Blick vergleichbare Begriffe und Muster aus dem 20. Jahrhundert zurück, die aber für die komplizierten Realitäten des 21. Jahrhunderts in wichtigen Teilen nicht passen. Der Putinismus nutzt ideologische Versatzstücke als Mittel zum Machterhalt, das Putin-Regime ist aber kein Weltanschauungsstaat. Auch mit dem Begriff des Faschismus lässt sich der Putinismus nicht umfassend konzeptualisieren. Das zeigt, dass auch die Forschung analytisch nicht auf der Höhe der Zeit sei. Als kleinen Exkurs für die Irrungen der öffentlichen Debatte gab Prof Gestwa ein Beispiel an: die „russische Seele“ ist eine Erfindung der Deutschen – es gibt sie in der uns bekannten Form nicht!

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