Sektion Bad Neuenahr-Ahrweiler
Türkische Außenpolitik unter Erdoğan – wohin treibt Ankara?
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Bad Neuenahr-Ahrweiler. Diesem Thema hatte sich die Sektion Bad Neuenahr-Ahrweiler der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) am 19. Oktober 2022 gewidmet. Der Vortag fand um 19.30 Uhr im Hotel am Weinberg als Präsenzveranstaltung statt, konnte aber auch als ZOOM-Webinar von zu Hause aus verfolgt werden. Referent des Abends war Prof. Dr. Burak Copur von der Internationalen Hochschule in Essen. Er ist dort als Lehrbeauftragter am Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen und als ausgewiesener Türkei-Forscher und Integrations-und Migrationsexperte tätig.
Einleitend stellte Copur fest, dass das Verhältnis zwischen dem EU-Beitrittskandidaten und NATO-Mitglied Türkei und Europa und Deutschland wegen seiner Widersprüchlichkeit schon in der Vergangenheit oft Unverständnis hervorgerufen hat. Die aktuelle Politik der Annäherung Ankaras an Moskau in Verbindung mit einer immer stärkeren Abwendung von den westlichen Partnern führt zu vielen Fragen, was die Verlässlichkeit der Türkei in der aktuellen Weltpolitik aber auch für die künftige Entwicklung betrifft.
Prof. Dr. Copur stellte dann drei unterschiedliche Phasen der Außenpolitik unter Erdogan in den Mittelpunkt seiner weiteren Ausführungen.
Die erste Phase von 2002-2010, als „Eurpäismus“ bezeichnet, war gekennzeichnet durch Bemühungen einer Demokratisierung im Inneren und einer Normalisierung der Beziehungen zu den Nachbarn (Syrien, Jordanien, Libanon und Irak). Auch wirtschaftlich ging es in der Türkei aufwärts. Das führte im Jahre 2005 zu ersten Beitrittsverhandlungen mit der EU. Da aber nicht alle Kriterien erfüllt waren, stockten die Verhandlungen. Auch Bemühungen Deutschlands mit immerhin 1,5 Mio. türkischen Mitbürgern konnten das Scheitern nicht verhindern.
Es begann die zweite Phase (2011-2016) der türkischen Außenpolitik bezeichnet als „Neo-Osmanismus“. Eingeleitet wurde diese Etappe durch den „Arabischen Frühling“ (2010/2011) und die Ablehnung einer EU-Vollmitgliedschaft durch Deutschland und Frankreich. In dieser Phase stürzten in Tunesien, Ägypten und Libyen die Diktatoren, und Regierungen mit Nähe zur Muslimbrüderschaft übernahmen die Macht. Die türkische Unterstützung dieser Kräfte diente dem Ziel, an das Erbe des Osmanischen Reiches anzuknüpfen und durch Errichtung eines „Osmanischen Commonwealth“ den Aufstieg zur führenden Macht im Nahen Osten zu ermöglichen. Die Hoffnungen gingen jedoch nicht auf, sondern leiteten den regionalen und internationalen Abstieg der Türkei ein.
Darüber hinaus führten einzelne Aktivitäten zur weiteren Verschlechterung des Verhältnisses zu den Nachbarstaaten, aber auch zu den westlichen Partnern.
Im Weiteren sprach der Referent vom Beginn der dritten Phase in der türkischen Außenpolitik (ab 2016), dem „Euraismus“. Kennzeichnend dafür ist eine nicht offiziell deklarierte Koalition aus Erdoganisten, Kemalisten und Nationalisten, die sich die Kurden und den Westen als gemeinsames Feindbild auserkoren haben. In dieses Bild passt auch der Annäherungskurs Erdogans an Putin. Beide Präsidenten sehen im Westen die Ursachen für ihre politischen und wirtschaftlichen Krisen und glauben gemeinsam ein Bündnis dagegen schmieden zu müssen. So könnte ein Gegenmodell zur EU eine „Eurasische Union“ unter Führung Russlands (mit türkischer und iranischer Beteiligung) sein.
Das unterstreicht auch die Ablehnung der westlichen Sanktionen gegen Russland als einziges NATO-Mitglied und Aktivitäten zum Erwerb russischer Waffensysteme durch Ankara.
Zusammenfassend stellte Prof. Dr. Copur fest, dass der Schlingerkurs des türkischen Präsidenten für Europa und die NATO einen großen Vertrauensverlust und ein Sicherheitsproblem darstellt. Eine Vorhersage, wohin die türkische Außenpolitik in den nächsten Jahren geht und wie sich die Wahlen in der Türkei im kommenden Jahr darauf auswirken könnten, kann zurzeit niemand mit annähernder Sicherheit wagen. Unter Präsident Erdogan ist jedoch nicht mit einem Kurswechsel zu rechnen.
Foto: Elmar Gafinen
Text: Klaus Kretzschmar
Hier finden Sie einen Pressebericht der RHEIN-ZEITUNG vom 22.10.2022 zur Veranstaltung