Sektion Fulda

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Dienstag, 12.06.2018 - 19:30

Das zweite Wunder an der Weichsel, Die Panzerschlacht vor Warschau (August 1944) und ihre fatalen Folgen für den Warschauer Aufstand

Vortrag und Diskussion
Referent: Oberst a.D. Dr. Karl-Heinz Frieser , Militärhistoriker, ehem. Forschungsbereichsleiter am MGFA in Potsdam
Ort: Hotel "Jägerhaus", Wintergarten - Bronnzeller Straße 8 , 36043 Fulda-Bronnzell
Organisator: Herr Oberstleutnant d.R. Michael Willi Trost , Sektionsleiter
Schimmelstraße 12, 36043 Fulda  0661 / 402882

Detaillierte Schilderung aller Operationen durch den Militärhistoriker Dr. Frieser - Foto: Gisbert Hluchnik


Dr. Karl-Heinz Frieser bei seinem engagierten Vortrag - Foto: Gisbert Hluchnik


Herzlichen Dank an den Referenten - Foto: Gisbert Hluchnik

Trotz des schönen sommerlichen Wetters hatten sich erneut viele Mitglieder und Gäste der Fuldaer Sektion der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“ zum insgesamt sechsten Mal im Wintergarten des Hotel „Jägerhaus“ in Fulda-Bronnzell zu einem Vortrag des renommierten Militärhistorikers und Oberst a.D., Dr. Karl-Heinz Frieser, eingefunden, um sich über die Panzerschlacht vor Warschau, Anfang August 1944, zu informieren, in deren Verlauf wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“ die Rote Armee unmittelbar vor Warschau durch eine deutsche Gegenoffensive gestoppt wurde.

Seltsamerweise fiel diese Panzerschlacht dem Vergessen anheim, denn sie stand ganz im Schatten des am selben Tag begonnenen Warschauer Aufstandes. Dies erscheint insofern paradox, als der Ausgang dieser Schlacht auch das Schicksal des Aufstandes determinierte.

Dr. Frieser war es als einem der Wenigen vergönnt, besonders auch Akten in russischen Archiven zu den Hintergründen und Folgen auszuwerten und konnte so wieder einmal mehr mit einem sorgsam recherchierten Vortrag anhand einer anschaulichen Präsentation die Zuhörer in seinen Bann schlagen.

Nicht zuletzt ging es bei den von GSP-Sektionsleiter Michael Trost zu Beginn des Abends begrüßten Gästen auch um die Beantwortung der noch heute diskutierten Frage:

War der Warschauer Aufstand eine heroische Tragödie oder ein unverantwortliches, selbstzerstörerisches Abenteuer?

Sein Referat beantwortete diese Fragen aus drei Perspektiven.

Zur deutschen Seite nahm er wie folgt Stellung:

Im Sommer 1944 bestand für den deutschen Generalstab die Schreckensvision eines sowjetischen Panzervorstoßes von Kovel auf Warschau. Auf diesem Wege konnte die Rote Armee die Pripjat-Sümpfe umgehen und im Rücken der deutschen Front entlang der Weichsel bis zur Ostsee vorstoßen. Dadurch wären zwei deutsche Heeresgruppen an der Küste eingeschlossen worden, was zwangsläufig den Zusammenbruch der gesamten Ostfront zur Folge gehabt hätte. Ende Juli schien dieser Alptraum Wirklichkeit zu werden, als nämlich von Süden her die sowjetische 2. Panzerarmee auf Warschau vorstieß. Da ereignete sich etwas, was die Rote Armee völlig überraschte. Die Heeresgruppe Mitte, die seit Wochen nur noch auf dem Rückzug war, holte zum Gegenschlag aus. Wie aus dem Nichts heraus, aus einem scheinbaren Chaos griffen plötzlich vier deutsche Panzerdivisionen aus vier Himmelsrichtungen konzentrisch den Raum ostwärts von Warschau an. Ein Großteil der sowjetischen Panzerverbände wurde eingekesselt und vernichtet. Feldmarschall Model, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte inszenierte diesen Gegenangriff völlig eigenmächtig ohne Einwilligung Hitlers. Dadurch aber rettete er noch einmal die Ostfront.

Die sowjetische Seite stellte sich für den Referenten wie folgt dar:

Das sowjetische Oberkommando hatte lange gezögert, bevor es diesen Vorstoß nach Warschau befahl. Dahinter verbarg sich ein persönliches Trauma Stalins. Im Jahr 1920 am Ende des russischen Bürgerkriegs war die Rote Armee trotz überdehnter Frontlinien bis weit nach Polen hinein vorgestoßen. Dennoch wurde die Offensive – auf Betreiben Stalins – Richtung Warschau fortgesetzt. Da kam es zu einem polnischen Gegenangriff, dem sogenannten „Wunder an der Weichsel“, und die sowjetischen Verbände wurden vor den Toren Warschaus geschlagen.

Ende Juli 1944 jedoch raste plötzlich die sowjetische 2. Panzerarmee, wie von allen Teufeln gehetzt, auf Warschau zu. Der Angriff erfolgte völlig überstürzt: keine Erkundung, keine Aufklärung, kein Flankenschutz, keine logistische Absicherung. Es handelte sich um einen Wettlauf nach Warschau, um der polnischen antikommunistischen Untergrundbewegung Armia Krajowa zuvorzukommen, die für den 1. August einen Aufstand gegen die deutschen Besatzer plante. Doch rein zufällig hatte Feldmarschall Model für diesen Tag einen deutschen Gegenschlag geplant, und so liefen ihm die sowjetischen Verbände gleichsam ins offene Messer. Die handstreichartige Einnahme Warschaus war gescheitert. Nun aber geschah etwas, was die polnischen Aufständischen völlig überraschte. Es rückten immer mehr sowjetische Armeen heran. Zeitweise standen im Raum um Warschau 13 sowjetische Armeen zwei deutschen gegenüber. Es wäre kein Problem gewesen, Warschau zu nehmen, wenn dies politisch so gewollt gewesen wäre, doch die Rote Armee verharrte untätig und überließ die Aufständischen ihrem Schicksal. Stalin konnte voller Genugtuung zusehen, wie die bürgerliche Widerstandsbewegung von den Truppen Hitlers massakriert wurde. Zusammenfassend lässt sich feststellen:

- In der ersten Phase wollte die Rote Armee Warschau erobern, konnte aber nicht.
- In der zweiten Phase hätte sie es gekonnt, wollte aber nicht mehr.

Und schließlich zur polnischen Seite stellte Dr. Frieser fest:

Der Warschauer Aufstand wird in der polnischen Gesellschaft auch heute noch kontrovers beurteilt. Für die einen war er ein heroischer Kampf um die Ehre der Nation, die anderen hingegen verurteilten ihn als selbstzerstörerischen Aktionismus. Militärisch richtete sich dieser Aufstand gegen die Deutschen, politisch jedoch gegen die Sowjetunion, denn die bürgerliche Widerstandsbewegung Armia Krajowa war strikt antibolschewistisch eingestellt. Sie besaß nur für etwa drei Tage logistische Reserven, ließ sich aber auf einen Kampf ein, der in Wirklichkeit 63 Tage dauerte. Hierbei verloren 15 000 Kämpfer der Armia Krajowa ihr Leben, hinzu kamen 200 000 Verluste unter der Zivilbevölkerung.

Nach Auffassung des Referenten ist jedoch die Führung der polnischen Widerstandsbewegung vom Schuldvorwurf freizusprechen. Sie wollte den auf Warschau zueilenden Panzern Stalins zuvorkommen und die Stadt aus eigener Kraft befreien.

So war es offensichtlich ein tragischer Zufall, dass ausgerechnet am 1. August, dem Beginn des Warschauer Aufstands, gleichzeitig die vermeintlich bereits besiegten Deutschen mit ihren Panzern einen Gegenschlag starten würden – wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Model überraschte mit dieser eigenmächtigen Aktion nicht nur das sowjetische, sondern auch das deutsche Oberkommando – und erst recht die Führung der Armia Krajowa.

Die bis zuletzt in gespannter Aufmerksamkeit verharrenden Zuhörer zeigten sich von der Rückschau auf die Tragik der Ereignisse in und vor Warschau im Sommer 1944 nachdenklich beeindruckt und bedankten sich nach anschließender Diskussion mit herzlichem Applaus bei dem Referenten.

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