Sektion Bonn
Nationale Sicherheitsstrategie - Zurück in die Zukunft
Berichterstattung zum Vortrag „Zurück in die Zukunft – Wie die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates (NSR) gelingt“ am 10.08.2023
Frau Christina Moritz, Politikwissenschaftlerin, trug in einer ZOOM-Veranstaltung (80 Teilnehmer) als Kooperation der GSP Bonn und der Women in International Security (WIIS) zu „Zurück in die Zukunft – Wie die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates (NSR) gelingt“ vor.
Ausgehend von der kürzlich verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie untersuchte Frau Moritz die Rolle eines NSR als gesamtgesellschaftliches Kriseninstrument: der Prozess des strategischen Denkens und Planens brauche einen institutionellen Rahmen. Solche Grundstrukturen seien international in vielen Ländern unabhängig von der Größe, Staatsform und Ausprägung bereits etabliert mit dem Ziel der Optimierung der nationalen Sicherheit.
Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist ein komplexes Bedrohungsszenario, dem sich Deutschland gegenübersieht: Klimawandel, Pandemie, Hybride Kriegsführung, Cyberangriffe bis hin zu Expansionsstreben einzelner Staaten und bewaffneten Konflikten bzw. offenen Kriegen.
Prioritäre Aufgaben eines NSR durch Zusammenfassung aller relevanten Akteure und Straffung der Verfahren sei die Gewährleistung einer kontinuierlichen und umfassenden Analysefähigkeit, die Erstellung eines vollständigen Lagebildes und einer strategischen Vorausschau sowie deren kontinuierliche Aktualisierung, um einen gesamtgesellschaftlichen und gründlichen Überblick über nationale Herausforderungen zu bekommen. Der NSR diene zugleich als zentraler Ansprechpartner in Sicherheitsfragen für andere Nationale Sicherheitsräte und Bürger.
Gekennzeichnet sei die heutige Lage durch ein Manko in den relevanten Strukturen – obsolete institutionelle und rechtliche Strukturen verhinderten eine ressortübergreifende strategische Analyse: es gebe eine Vielzahl von Lagezentren und Behörden mit mangelnder Vernetzung, der Informationsfluss zwischen Behörden sei eingeschränkt und die Kompetenzen seien nicht krisenfest angelegt und letztlich die gesetzlichen Grundlagen nicht mehr zeitgerecht. Die Folgen dieser institutionellen Defizite seien eine erhöhte Fehlerwahrscheinlichkeit, ein unvollständiges Lagebild sowie eine Verlangsamung der Entscheidungsprozesse. Zusammengefasst also eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit. Frau Moritz erläuterte dieses am „Krisen“-Management der Corona-Pandemie.
Die Referentin bemängelte, dass die Nationale Sicherheitsstrategie den NSR nicht behandle. Man suche vergeblich nach Vorstellungen hierzu.
Anschließend stellte Frau Moritz ihr Modell eines NSR vor, der die Koordinierung und Steuerung von Informationsbeschaffung, Analyse und Maßnahmen aus einer Hand sicherstelle. Dieser solle keine neue zusätzliche Behörde werden, sondern die bereits vorhandenen Elemente gebündelt und institutionell zusammenfassen. Es gehe nicht um Quantität, sondern um Qualität. Die Kernbesetzung werde gebildet durch die sicherheitspolitischen Hauptakteure (Bundeskanzleramt, AA, BMVg, BMI, BMF, Nachrichtendienste). Eine NSR-Analyseeinheit, angesiedelt im BMVg im 24/7 Modus, bilde als Informations-/Analyseplattform die Keimzelle der Strategiebildung des NSR. Dieser reagiere auf Akutszenarien mit Sitzungen nach Bedarf mit Vertretern der Kernbesetzung. Im Rahmen von Analyseszenarien erfolgen regelmäßige Sitzung unter Hinzuziehung weiterer relevanter Akteure (Wirtschaft, Wissenschaft, Verbände, Bevölkerung, Nichtregierungsorganisationen etc.). Dabei müsse den deutschen Besonderheiten wie Föderalismus und Ressortprinzip Rechnung getragen werden. Der NSR insgesamt sei im Bundeskanzleramt anzusiedeln.
Sie ging in ihren Ausführungen kurz auf die Positionen der Bundestagsparteien zu einem NSR ein und stellte fest, dass sie seit einiger Zeit eine verstärkte Unterstützung für einen NSR erkenne.
In einem Exkurs verglich die Vortragende ihr Modell des NSR mit dem amerikanischen National Security Council, der zwar namensgleich, in der Zusammensetzung und den Arbeitsschwerpunkten aber anders angelegt sei.
Zusammengefasst stellte Frau Moritz fest: es dürfe kein „weiter so“ geben angesichts existentieller Herausforderungen. Das Kästchendenken sei zugunsten einer Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur schnellstmöglich zu überwinden. Nur so sei ein ganzheitlicher, strategischer und aktiver Ansatz zur krisenfesten Aktion statt Reaktion, und zu einer schnelleren, optimierten Handlungsfähigkeit möglich. Ziel müsse es sein, die Komplexität der Bedrohungsszenarien handhabbar zu machen.
Sie sah durchaus realistisch, dass man den NSR schrittweise etablieren müsse. Hierzu sei keine Verfassungsänderung nötig, wohl aber die Überarbeitung bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen (z.B. Trennungsgebot Polizei – Nachrichtendienste, Gesetz zur Schaffung eines NSR) durch den Deutschen Bundestag.
Ihre Botschaft: Deutschland braucht schnellstmöglich einen NSR und Initiativen im Bundestag, die seine Einrichtung ermöglichen.
Die folgende Diskussion fokussierte sich u.a. auf die Nationale Sicherheitsstrategie und damit verbundener Fragen wie äußere und innere Sicherheit (u.a. Resilienz) sowie die Bedeutung nationaler Interessen, die Rolle bestehender Behörden (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) als Nukleus eines NSR, die Krisen betreffende Informationsbereitstellung, Fragen der rechtlichen Dimension und der Ausplanung des NSR.
Frau Moritz hat als ausgewiesene Expertin die vielfältigen rechtlichen und politischen Facetten des NSR und seiner möglichen Einrichtung kompetent, umfassend und verständlich vermittelt. Ihr kurzweiliger und engagierter Vortrag hat einen wichtigen Bereich nationaler Sicherheitspolitik und Handlungsfähigkeit mit Optionen des Handelns beleuchtet und einem breiteren Publikum anschaulich präsentiert.
Diese Veranstaltung kann bei YouTube unter Gesellschaft für Sicherheitspolitik nachverfolgt werden, oder direkt hier.
Den Vortrag finden Sie unter Download der Einladung.
Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn