Wahlprüfsteine Bündnis 90/Die Grünen


Wahlprüfsteine - Bündnis 90/Die Grünen

1. Die Klimakrise ist eine Herausforderung, die unsere Art des Lebens bedroht, die Wirtschaft beeinflusst, Lieferketten gefährdet, Dürren verantwortet und Weltregionen so unbewohnbar macht, dass Menschen in andere Staaten fliehen müssen. Was ist die Antwort Ihrer Partei auf diese Sicherheitsbedrohung?

Die Folgen der Klimakrise bedrohen Stabilität und Sicherheit weltweit. Wir GRÜNE setzen uns für eine ambitionierte, nachhaltige und menschenrechtskonforme Klimaaußenpolitik und globale Klimagerechtigkeit ein. Mit Klima- und Entwicklungspartnerschaften wollen wir die Länder des Globalen Südens bei Anpassungsmaßnahmen und der Bewältigung von Schäden und Verlusten unterstützen und sie auf Paris-Kurs zu bringen. Damit tragen wir auch dazu bei, Ressourcenkonflikten vorzubeugen und Frieden zu sichern. Zum Schutz von Menschen, die infolge der Klimakrise ihre Lebensgrundlagen verlieren und flüchten, brauchen wir verbindliche Mechanismen. Insbesondere regionale Ansätze, die den Betroffenen eine selbstbestimmte und würdevolle Migration ermöglichen und ihnen Aufenthaltsperspektiven schaffen, wollen wir fördern. Zugleich wollen wir Heimat- und Aufnahmeländer klimabedingter Migration unterstützen. Die „Task Force on Displacement“ der Klimarahmenkonvention UNFCCC wollen wir strukturell stärken. 

2. Die Bundeswehr ist im Ausland in vielen Krisengebieten involviert, war während der Covid-19-Pandemie aber auch im Inland aktiv ("Helfende Hände"). Wie bewertet Ihre Partei die grundsätzliche Ausrichtung der Bundeswehr zwischen Landes- und Bündnisverteidigung und internationalem Krisenmanagement?

Die Bundeswehr leistet im Rahmen der Amtshilfe im Inland wichtige und gute Arbeit. Gleichzeitig ist die Bundeswehr mit ihren Aufgaben im Bereich Landes- und Bündnisverteidigung sowie internationales Krisenmanagement stark ausgelastet. Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr müssen sich an den realen und strategisch bedeutsamen Herausforderungen für Sicherheit und Friedenssicherung orientieren und in ein gesamtstaatliches Handeln einfügen. Landes- und Bündnisverteidigung haben an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig muss ein Land wie Deutschland auch künftig bereit sein, Beiträge zum internationalen Krisenmanagement zu leisten. Nicht zuletzt der Afghanistan-Einsatz zeigt, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr auf den Prüfstand gehören. Es ist auch im Interesse der Bundeswehr, zivile Krisenprävention und zivile Handlungsfähigkeiten deutscher Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik personell wie finanziell Mittel zu stärken.


3. Der Cyberraum wird ein zunehmend für Kriminalität genutzter Bereich. Im Jahr 2020 gab es nach Angaben des BKA 108.474 erfasste Fälle der Cyberkriminalität. Im 5-Jahresvergleich (2016) ist das ein Anstieg von gut 31%, Tendenz steigend. Was ist die Lösung Ihrer Partei gegen dieses Zukunftsproblem?

Wir stehen für eine rationale Sicherheits- und Kriminalpolitik, die konkrete Gefahren anlassbezogen und zielgerichtet abwehrt sowie eine verhältnismäßige Strafverfolgung und beste Prävention gewährleistet. Gute IT-Sicherheit und klare rechtsstaatliche Standards sichern Grundrechte. Der Staat bleibt in der Pflicht, diese zu gewähren. Generelle Hintertüren in digitalen Geräten und Anwendungen oder das Infiltrieren von technischen Geräten (Online-Durchsuchung bzw. Quellen-TKÜ) lehnen wir GRÜNE ab. Zudem wollen wir eine Pflicht Sicherheitslücken zu melden und aktiv auf ihre Behebung hinzuwirken. Unternehmen dürfen nicht dazu verpflichtet werden, die IT-Sicherheit und Netzintegrität auf Kosten der Allgemeinheit zu gefährden. Für Früherkennung, Analyse und das gemeinsame Vorgehen staatlicher Stellen braucht es ressortübergreifende Strategien zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen, klare rechtliche Vorgaben und eine starke parlamentarische Kontrolle für das Handeln der Bundeswehr im Cyberraum.

4. Kritik an der Effektivität von internationalen Organisationen ist nichts Neues. Vor allem internationale Organisationen wie die NATO, die bekanntermaßen als obsolet oder hirntot bezeichnet wurden, stehen dabei in scheinbar periodischen Abständen in der Kritik. Wie steht Ihre Partei zur NATO?

Die NATO leidet unter divergierenden sicherheitspolitischen Interessen innerhalb der Allianz bis hin zu zwischenstaatlichen Konflikten. Ihr fehlt in dieser tiefen Krise eine klare strategische Perspektive. Trotzdem bleibt sie aus europäischer Sicht neben der EU eine unverzichtbare Akteurin, die die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und die als Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt. Wir GRÜNE werden uns im Rahmen des laufenden Strategieprozesses für eine Neuaufstellung der NATO und darauf aufbauend eine Debatte über eine faire Lastenverteilung und eine ausgewogene Beteiligung der Mitgliedstaaten einsetzen, um strategische Interessen auf Grundlage von europäischen Werten wie Multilateralismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemeinsam zu entwickeln und geschlossener und überzeugender zu vertreten.

5. Nach wie vor gilt was Klaus Kinkel einst erklärte: „Gäbe es die UNO nicht, müsste man sie erfinden“. Dass sie viele Baustellen und Probleme hat, lässt sich hingegen nicht verleugnen. Was wäre aus sicherheitspolitischer Perspektive Ihrer Partei das wichtigste Reformvorhaben innerhalb der UNO? 

Die Vereinten Nationen müssen stärker ins Zentrum der deutschen und europäischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gestellt werden. Das Engagement Deutschlands und der EU für die Vereinten Nationen wollen wir GRÜNE finanziell, personell und diplomatisch substanziell verstärken, besser koordinieren und internationale Vereinbarungen konsequent in nationale und europäische Politik umsetzen. So schaffen wir die Voraussetzungen für notwendige Reformen des VN-Systems. Hierzu gehören u.a. eine gerechtere Repräsentation der Weltregionen im Sicherheitsrat und die langfristige Abschaffung des Vetorechts. Wenn der Sicherheitsrat im Falle von schwersten Menschenrechtsverletzungen anhaltend blockiert ist, soll die Generalversammlung an seiner Stelle nach dem Vorbild der „Uniting for Peace“-Resolution über friedenserzwingende Maßnahmen, also diplomatische Maßnahmen, Sanktionen oder militärische Maßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta, mit qualifizierter Mehrheit beschließen.

6. Die EU versucht seit Jahren sicherheitspolitisch handlungsfähig zu werden, tritt dabei jedoch auf der Stelle. Wie steht Ihre Partei zu der Frage einer „europäischen Autonomie“? Welche Schritte wären notwendig, um europäische Handlungsfähigkeit zu erhöhen? Unterstützen Sie eine europäische Armee? 

Eine EU-Armee ist nicht unser vorrangiges Ziel. Aber die Europäische Union muss ihrer Verantwortung für die eigene Sicherheit und Verteidigung besser gerecht werden. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) setzt eine gemeinsame EU-Außenpolitik voraus. Wir wollen perspektivisch eine EU-Sicherheitsunion mit einer starken parlamentarischen Kontrolle etablieren. Anstatt immer mehr Geld in nationale militärische Parallelstrukturen zu leiten, wollen wir GRÜNE die verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte in der EU ausbauen, militärische Fähigkeiten bündeln, eine effizientere Beschaffung erreichen und allgemein anerkannte Fähigkeitslücken gemeinsam und durch eine Konsolidierung des europäischen Rüstungssektors schließen. Dafür ist eine geeignete Ausstattung, der Ausbau von EU-Einheiten sowie eine Stärkung und Konsolidierung der gemeinsamen EU-Kommandostruktur und europäischer Initiativen wie zum Beispiel der Permanent Structured Cooperation (PESCO) nötig.

7. Längst sind nicht mehr alle Staaten die Nuklearwaffen besitzen, Teil des Nichtverbreitungsvertrags. Das macht ihre Kontrolle und Reglementierung bedeutend ungewisser. Innerhalb von Deutschland gibt es viele Ideen und Forderungen zur Zukunft von Nuklearwaffen. Wie steht Ihre Partei dazu?

Unser Anspruch ist noch immer nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt, ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag. Deutschland sollte als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen. Eine Welt ohne Atomwaffen gibt es nur über Zwischenschritte. Wir wollen mit den USA über „Global Zero“ ins Gespräch kommen und weitere Prozesse initiieren: eine internationale Initiative zur Reduzierung der Zahl von Atomwaffen, einen Verzicht der NATO auf jeden Erstschlag und eine breite öffentliche Debatte über die Risiken der nuklearen Abschreckung. Wir GRÜNE wissen, dass dafür – auch angesichts der russischen konventionellen und nuklearen Aufrüstung – zahlreiche Gespräche im Bündnis notwendig sind, auch mit unseren europäischen Partnerstaaten, und vor allem die Stärkung der Sicherheit und Rückversicherung unserer polnischen und baltischen Bündnispartner*innen.

8. Spätestens seit der noch immer anhaltenden Covid-19-Pandemie wurde uns vor Augen geführt, dass auch globale Gesundheitsfragen sicherheitspolitische Fragen sind. Was hat Ihre Partei für Ihre sicherheitspolitische Ausrichtung aus der Covid-19-Pandemie gelernt? 

Die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Umgangs mit multidimensionalen globalen Krisen und ihrer Bewältigung verdeutlicht. Nur mit einem breiten Ansatz, multilateraler Abstimmung und Solidarität kann solch eine Pandemie bewältigt werden. Die Pandemie ist erst vorbei, wenn die Ärmsten Staaten Zugang zu Impfstoffen erhalten, ansonsten sind wir stetig mit neuen Virusvarianten konfrontiert. Fragen von Gesundheit und Sicherheit müssen im Sinne eines breiten Verständnisses menschlicher Sicherheit enger verknüpft werden. Lockdowns hatten in der Krise vielfach Probleme bei Sicherheits-, Versorgungs-, und Menschenrechtsaspekten zur Folge. Die Corona Krise wirkt als Verstärker bereits vorhandener globaler Krisen wie der Klimakrise und der Überschuldungskrise im Globalen Süden. Auch Umwelt, Gesundheit und Sicherheit müssen enger zusammen gedacht werden. Wir brauchen mehr interdisziplinäre Forschungsansätze und Maßnahmen sowie einen starken Fokus auf Prävention und Vorsorge.

Zum Video Wahlprüfsteine Bündnis 90 / Die Grünen: https://youtu.be/gbSICOuISS8

 

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