Vor fünfzig Jahren fanden in München die Olympischen Sommerspiele statt. Es war das sportliche Weltereignis und sollte das Gegenteil der Propagandaschau der Nationalsozialisten von 1936 werden. Bei fröhlichen, heiteren, aber auch sportlich fairen Wettkämpfen sollte sich die Jugend der Welt in der bayerischen Landeshauptstadt ein Stelldichein geben. Jahrelang hatten die Organisatoren auf den Tag der Eröffnung, der XX. Olympiade, hingearbeitet. Die Entscheidung durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) für München fiel am 26. April 1966. In sechs Jahren veränderte sich München. „München stand in den 1960er Jahren im Ruf der Provinzialität und hatte die Last der Hauptstadt der Bewegung gewesen zu sein Plötzlich wurde nun diese Stadt zum Aushängeschild des neuen demokratischen, auch bescheiden auftretenden Deutschlands. (…) Das Olympiastadion war aufgrund seiner Architektur weltweit bekannt und stand geradezu als Sinnbild für das neue, liberale und transparente Deutschland.“ So sieht es der von 1993 bis 2014 amtierende Oberbürgermeister Christian Ude.
Am 26. August findet die Eröffnungszeremonie statt
Das Stadion ist mit 80.000 Zuschauern voll besetzt. Rund 8000 Sportler aus 122 Ländern hatten sich im Innenrund versammelt. Um 16:35 Uhr spricht Bundespräsident Gustav Heinemann die Eröffnungsformel: “Ich erkläre die Olympischen Spiele in München zur Feier der XX. Olympiade der Neuzeit für eröffnet“. Die Leichtathletin Heidi Schüller spricht den Olympischen Eid. Der Letzte der 5976 Fackelläufer entzündet das Olympiafeuer. 5000 Tauben fliegen in den blauen Himmel. Die Wettkämpfe können beginnen. In 21 Sportarten wird es 195 Entscheidungen geben, in Augsburg und in Kiel bemühen sich Kanuten und Segler um Medaillen. Weltoffen, gepaart mit fröhlicher Leichtigkeit, transparent und mit dem Markenzeichen die „heiteren Spiele“ sollte München in die Olympiageschichte eingehen. Die Farben orange, hellblau, grün oder silbern ließen Stadt und Wettkampfstätten im bunten Glanz erscheinen. Die bayerische Hauptstadt und Deutschland standen durch ein gigantisches Medienaufgebot, erstmals wurde in Farbe übertragen, weltweit im Blickfeld. Bis zum 4. September lief alles wie geplant.
In den Morgenstunden des 5. September beginnt die olympische Katastrophe. Acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ klettern in Trainingsanzügen über den Zaun des Olympischen Dorfes. Da so etwas auch schon in den Tagen vorher passiert ist, wird es von denjenigen die es sehen, nicht weiter beachtet. Die Gruppe dringt in der Connollytraße ins Haus 31 und nimmt neun israelische Sportler und Betreuer als Geiseln. Moshe Weinberger, Ringertrainer, wird beim Fluchtversuch getötet, der angeschossene Josef Romano, Gewichtheber, verblutet vor den Augen der neun anderen Geiseln. Einigen Israelis ist die Flucht ins Freie gelungen.
Die Forderungen der Terroristen
Die Terroristen fordern die Freilassung von 234 in Israel gefangenen Palästinensern und der RAF-Terroristen Andreas Bader und Ulrike Meinhof. Gegen 8:30 Uhr beginnen Verhandlungen durch Walther Tröger, Bürgermeister des Olympischen Dorfes, Willi Daume, Chef des Organisationskomitees, Manfred Schreiber, Polizeipräsident München und Bruno Merk, Bayrischer Innenminister, später kommt Innenminister Dietrich Genscher hinzu. „Issa“, so sein Deckname, ist der Anführer der Terroristen, er spricht deutsch. Seinen Auftrag hat er von der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. „Ich bin Soldat“, sagt er zu Genscher:“ Wir sind im Krieg.“ Die Verhandlungen ziehen sich über den Tag hin, Ansätze zur Geiselbefreiung werden abgeblasen, die Terroristen können diese im Fernsehen mitverfolgen. Spezialkräfte für den Einsatz bei solchen Fällen gibt es 1972 noch nicht. Am Nachmittag unterbricht IOC-Präsident Avery Brundage die Spiele. Nach 22 Uhr werden Attentäter und Geiseln in einem Bus zu zwei BGS-Hubschraubern gebracht. Diese fliegen die Gruppe zum Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, dort steht eine Boeing 727 zum Weiterflug bereit, wohin ist unklar, Ägypten hat die Aufnahme abgelehnt.
Völlig unübersichtliche und hilflose Lage
Einige Terroristen verlassen die Hubschrauber. „Issa“ und ein Begleiter inspizieren die Boeing. Bei der Rückkehr eröffnen Polizeischarfschützen das Feuer. Die Terroristen zerschießen die Scheinwerfer. Die Lage ist völlig unübersichtlich. Nach Mitternacht kommen Panzerwagen aufs Vorfeld. Einer steuert auf einen Hubschrauber zu, ein Attentäter springt raus und wirft eine Handgranate in den Passagierraum, er geht in Flammen auf. Im anderen Hubschrauber fallen Schüsse. Nach Mitternacht endet das Feuergefecht. Neun Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizeibeamter sind tot, drei Geiselnehmer festgenommen. Wie diese später frei gepresst werden ist eine andere Geschichte.
Die Flaggen werden auf Halbmast gesetzt.
Bei der Trauerfeier für die ermordeten Israelis am 6. September erklärt IOC-Präsident Avery Brundage “The games must go on“, diese Worte sind in die Sportgeschichte eingegangen. Der Tag der Schlussfeier wird auf den 11. September verschoben. Das geplante Rahmenprogramm entfällt. Die Bundesrepublik zog schnell Lehren aus der Olympia-Katastrophe. Der Bund stellte die Sondereinheit GSG 9 (Grenzschutzgruppe) auf. Der erste Kommandeur wurde Ulrich Wegener, der 1972 das Drama auf dem Tower als Sicherheitsreferent im Innenministerium miterlebt hatte. Mit Angehörigen dieser neuen Einheit stürmte er dann am 18. Oktober 1977 die entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ auf dem Flughafen in Somalias Hauptstadt Mogadischu. Hierbei wurden alle Geiseln befreit. Auch die Bundesländer zogen ihre Lehren aus dem Terrorakt in München und stellten Spezialkräfte auf.
Am 50. Jahrestag, dem 5. September 2022 soll in München bei einer offiziellen Gedenkfeier der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 gedacht werden. Momentan gibt es noch Differenzen, u.a. mit der Sprecherin der Hinterbliebenen, Ankie Spitzer, der Witwe des ermordeten Fechttrainers Andre Spitzer. Es geht um Entschädigungsforderungen der Hinterbliebenen. Die Bundesregierung hat den Opferfamilien zehn Millionen, abzüglich der 4,6 Millionen, die schon 2002 von Bund, Freistaat Bayern und Stadt München erbracht wurden, angeboten. Sollte es zu keiner Einigung kommen und niemand der Opferfamilien teilnehmen, ist auch mit der Anwesenheit des israelischen Staatspräsident Jitzchak Herzog nicht zu rechnen. Vorgesehen ist, dass er nach Deutschland kommt und am 6. September eine Rede im Deutschen Bundestag halten wird.