60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) - Furor und Harmonie. Die Kunst der Diplomatie.
Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, wird die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eröffnen. Sie findet vom 16. bis 18. Februar 2024 statt. Für das Jubiläum hat sie ihrem Kürzel-Logo eine 60 beigefügt. Gründer dieser sicherheitspolitischen Konferenz war Ewald-Heinrich von Kleist. Unter dem Namen „Wehrkundetagung“ wurde sie 1963 erstmals in München ausgerichtet. Teilnehmer waren u.a. der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt und der amerikanische Politiker Henry Kissinger, der immer wieder nach München kam und 2009 den Ewald-Heinrich-von-Kleist- Preis erhalten hatte. Der Namengeber hielt die Laudatio.
Zehn Jahre davor, im Januar 1952, wurde die „Gesellschaft für Wehrkunde“, gegründet, bei der Ewald von Kleist mit dabei war. Von Kleist wurde Verleger der „Zeitschrift für Wehrkunde“, die heute mit dem Titel „Europäische Sicherheit & Technik“, erscheint. Sie ist offizielles Organ der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.
Im Laufe der Jahre wechselte die sicherheitspolitische Konferenz den Namen in „Internationale Konferenz für Sicherheitspolitik “ und seit Anfang 2000 heißt sie nun „Münchner Sicherheitskonferenz“. Eine vergleichbare Institution gibt es in Deutschland nicht. Veranstaltungsort ist der Bayerische Hof, wobei Nebenveranstaltungen schon aus Platzgründen, dort nicht mehr stattfinden können.
Seit ihrer Gründung ist die Tagung zweimal ausgefallen. 1991 wegen des Golfkrieges und 1997, weil kein Nachfolger für den fünfundsiebzigjährigen Ewald von Kleist gefunden worden war. 1998 leitete von Kleist sie dann doch noch einmal. Seine Nachfolge war geklärt worden. Horst Teltschick, ehemaliger außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, übernahm die Leitung der inzwischen weltweit bekannten MSC.
In den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland waren es vor allem nationale Kabinettsmitglieder, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage, Militärs, Wissenschaftler, Wirtschafts- und Medienvertreter, die sich mit Themen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassten. Später kamen europäische und transatlantische Teilnehmer hinzu. Während des Kalten Krieges standen Themen des Ost-West-Verhältnisses im Vordergrund der Dialoge und des inoffiziellen Gedankenaustausches.
Nach dem Rückzug des Gründers von Kleist bekam die Konferenz ein anderes, mehr internationales Gewicht. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und die Auflösung des Warschauer Paktes 1991 ergaben andere strategische Gesprächsthemen. Horst Teltschick öffnete die Konferenz für die Teilnehmer aus den Staaten Ost- und Mitteleuropas. Ebenso stärker für Vertreter der Wirtschaft, die sich sonst eher beim Weltwirtschaftsforum in Davos treffen.
2005 lautete das MSC-Konferenzmotto „Frieden durch Dialog“, was zum Anlass genommen wurde eine „Friedensplakette“ zu stiften. Diese sollte zukünftig an Personen verliehen werden, die sich durch besondere Initiativen auszeichnen. Der erste, der damit geehrt wurde, war Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen von 1997 bis 2006, weitere waren John McCain (2006), Javier Solana (2007) und 2008 erhielt sie ein verwundeter kanadischer Soldat, stellvertretend für alle Soldaten, die ihr Leben für den Frieden einsetzen. Seit 2009 wird der Ewald-Heinrich-von-Kleist-Preis verliehen. Ihn erhielten bisher Henry Kissinger, Javier Solana (2010), Joseph Liebermann (2012), Brent Scowcroft (2013), Helmut Schmidt und Valery Giscard d`Estasing (2014), die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (2015), Christiana Figueres und Laurent Fabius (2016), Joachim Gauck (2017), John McCain (2018), Alexis Tsipras und Zoran Zaev (2019), die Vereinte Nationen (2020), Angela Merkel (2021), Jens Stoltenberg (2022). Im letzten Jahr waren es Finnland und Schweden, die neuen Mitglieder des Atlantischen Bündnisses. Wer den Preis in diesem Jahr bekommt ist noch nicht bekannt.
Beim Blick in die Vergangenheit muss ein besonderes Augenmerk auf die 43. Konferenz geworfen werden, die vom 9.- 11. Februar 2007 stattfand. Im Mittelpunkt stand die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Hier seine einleitenden Worte:
„Vielen Dank, verehrte Frau Kanzlerin, für die Einladung, an den Tisch der Konferenz, die Politiker, Militärs, Unternehmer und Experten aus mehr als 40 Ländern der Welt zusammengeführt hat.
Das Format der Konferenz gibt mir die Möglichkeit, der „übertriebenen Höflichkeit“ zu entgehen, mit geschliffenen, angenehmen, aber leeren diplomatischen Worthülsen sprechen zu müssen. Das Format der Konferenz erlaubt, das zu sagen, was ich wirklich über die Probleme der internationalen Sicherheit denke. Und wenn meine Überlegungen meinen Kollegen allzu polemisch oder ungenau erscheinen, ärgern Sie sich bitte nicht über mich – es ist doch nur eine Konferenz. Und ich hoffe, dass nicht schon nach zwei, drei Minuten meines Auftrittes Herr Teltschik das „Rotlicht“ aufleuchten lässt.
Also. Es ist bekannt, dass die Problematik der internationalen Sicherheit bedeutend breiter ist als die Fragen der militärpolitischen Stabilität. Dazu gehört die Beständigkeit der Weltwirtschaft, die Überwindung der Armut, die ökonomische Sicherheit und die Entwicklung des Dialogs zwischen den Zivilisationen.
Dieser allumfassende, unteilbare Charakter der Sicherheit drückt sich auch in seinem Grundprinzip aus: „Die Sicherheit des Einzelnen – das ist die Sicherheit aller“. Wie sagte doch Franklin Roosevelt schon in den ersten Tagen des II. Weltkrieges: „Wo auch immer der Frieden gebrochen wird, ist er gleichzeitig überall bedroht und in Gefahr.“ Diese Worte haben bis heute ihre Aktualität behalten. Davon zeugt übrigens auch das Thema unserer Konferenz, so wie es hier geschrieben steht: „Globale Krisen – globale Verantwortung“
Seine Rede endete mit folgenden Worten:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Zum Abschluss möchte ich Folgendes bemerken. Wir hören sehr oft, auch ich persönlich, von unseren Partnern, auch den europäischen, den Aufruf an Russland, eine noch aktivere Rolle in den Angelegenheiten der Welt zu spielen.
In diesem Zusammenhang gestatte ich mir eine kleine Anmerkung. Man muss uns kaum dazu ermuntern oder drängen. Russland ist ein Land mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte und fast immer hatte es das Privileg, eine unabhängige Außenpolitik führen zu können.
Wir werden an dieser Tradition auch heute nichts ändern. Dabei sehen wir sehr genau, wie sich die Welt verändert hat, schätzen realistisch unsere eigenen Möglichkeiten und unser Potenzial ein. Und natürlich möchten wir gerne mit verantwortungsvollen und ebenfalls selbstständigen Partnern zusammenarbeiten am Aufbau einer gerechten und demokratischen Welt, in der Sicherheit und Aufblühen nicht nur für Auserwählte, sondern für alle gewährleistet ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.“
2014 erzeugte Bundespräsident Joachim Gauck Aufmerksamkeit mit seiner Eröffnungsrede „Deutschlands Rolle in der Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen und Bündnissen“. Auf den Konferenzen der folgenden Jahre standen Afghanistan, Iran-Konflikt, Cyberkrieg, US-Raketenschild, Klimawandel, Eurokrise, Bürgerkrieg in Syrien, Maidan-Revolution, Zukunft der EU, Brexit, Nordkoreas Atomprogramm, Naher Osten oder die Flüchtlingskrise auf der Tagesordnung. Krisen, Konflikte und Kriege waren und sind rund um den Globus, so dass die Konferenzleitung keine Mühe hat, sich damit zu befassen.
Schlussendlich noch ein Blick auf die letzten drei Jahre. Aufgrund der Covid-19-Pandemie konnte 2021 keine Präsenzkonferenz durchgeführt werden. Mit der MSC Special Edition 2021 gab es eine Plattform für TV-Übertragungen der 57. MSC. Aus Washington waren der amerikanische Präsident Joe Biden, der im Januar das Amt angetreten hatte und aus Paris der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, zugeschaltet.
Im Folgejahr 2022 fand die 58. MSC dann wieder in Präsenz, allerdings in kleinerer Form, statt. Es ist, das wurde deutlich, weltweit, die einzige sicherheitspolitische Großveranstaltung, auf der sich außen und sicherheitspolitische Experten, Zivilisten und Militärs, aus der ganzen Welt bei informellen Gesprächen austauschen können. Ein gemeinsames Schlusskommuniqué, sonst bei Gipfeltreffen üblich, gibt es nicht. Zur sicherheitspolitischen Weltlage meinte Konferenzleiter Wolfgang Ischinger: „Der Bedarf an Dialog war noch nie so groß wie heute. Unsere Welt ist in Gefahr. Traditionelle Gewissheiten zerfallen, Bedrohungen und Verwundbarkeiten nehmen zu, und die Pandemien erhöhen den Druck und den Handlungsbedarf zusätzlich. Wir hoffen, dass die informellen Gespräche in München, einschließlich der vielen bilateralen Treffen und Möglichkeiten, einander in die Augen zu schauen, einen Beitrag auf dem schwierigen und holprigen Weg leisten werden der vor uns liegt. Für den ehemaligen Botschafter Wolfgang Ischinger der 2008 übernommen hatte, war es die letzte Konferenz, die er leitete. Sein Nachfolger wurde Botschafter Christoph Heusgen, ehemaliger außen- und sicherheitspolitischer Berater der Bundeskanzlerin. Von 2017 bis 2021 war er Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Unabhängig vom Wechsel in der Führung, hat sich die Rechtsform der MSC geändert. Als Stiftung wird sie privat organisiert und finanziert, aber auch aus dem Bundeshaushalt bezuschusst. Zu den Sponsoren gehören auch Firmen der Verteidigungswirtschaft. Wie jedes Jahr werden auch an diesen Konferenztagen Demonstrationen gegen das Zusammentreffen der „Kriegsstrategen“ stattfinden und die Polizei beschäftigen.
Der Angriffskrieg Russlands seit dem 22. Februar 2022 war das beherrschende Konferenzthema 2023. Die sogenannte „Spezialoperation“ ist auch ein Angriff gegen die Grundprinzipien der Nachkriegsordnung. Zugeschaltet aus Kiew war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky. Bundeskanzler Olaf Scholz entgegnete auf dessen Rede: „Ich denke ich spreche uns allen aus dem Herzen, wenn ich nach dieser Rede von Präsident Selensky zunächst in Richtung Kiew antworte: Lieber Wolodymyr, wir hätten dich heute sehr gern in unserer Mitte gehabt, denn die Ukraine gehört hierher, an unsere Seite, in ein freies, vereintes Europa…“
In gekürzter Form einige Aussagen aus der Rede von Scholz.
Er skizzierte sie in sieben Thesen.
Erstens: Putins Revisionismus wird nicht siegen.
Zweitens: Je früher Präsident Putin einsieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf Rückzug russischer Eroberungstruppen. Drittens: Die Balance zwischen bestmöglicher Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation werden wir auch weiterhin halten. Und ich bin froh und dankbar, dass Präsident Biden und viele andere Verbündete das genau so sehen wie ich.
Viertens: Deutschland bekennt sich zu seiner Verantwortung für die Sicherheit Europas und das NATO-Bündnisgebietes, ohne Wenn und Aber.
Fünftens: In der Rüstungspolitik muss die Europäische Union strategisch an einem Strang ziehen.
Sechstens: Für uns Europäerinnen und Europäer und, wie ich meine. Letztlich für alle demokratischen, offenen Gesellschaften wie unsere geht es darum, dass wir insgesamt resilienter werden.
Seine siebente und letzte These lautet: Wenn die multipolare Welt des 21. Jahrhunderts eine Ordnung sein soll, die auf Recht basiert und die Unrecht ahndet, dann brauchen wir neue Formen internationaler Solidarität und Mitsprache.
Seit dieser Rede ist ein Jahr vergangen. In der Ukraine schweigen die Waffen immer noch nicht. Dieser Krieg und der terroristische Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 werden die beherrschenden Themen der Konferenz sein.
Zur diesjährigen Jubiläumsveranstaltung werden rund 50 Staats- und Regierungschefs, mehr als 100 Minister sowie die Leiter vieler internationaler und zivilgesellschaftlicher Organisationen erwartet.
Suche nach Lösungen des Krieges in der Ukraine und in Gaza werden an erster Stelle der Gespräche stehen. Der Abschluss einer bilateralen deutsch-ukrainischen Sicherheitsvereinbarung wird erwartet. Des Weiteren werden im Dialog sein, der Zustand und die Zukunft der internationalen Ordnung sowie dringend notwendige Reformen multilateraler Regierungsführung. Eingefrorene und neu ausgebrochene regionale Konflikte und immer mehr auch transnationale Herausforderungen dürfen nicht vergessen werden. Die Klimakrise, Welternährungsprobleme oder die Rolle Europas in der Welt werden die Teilnehmer wieder beschäftigen.
Neben dem offiziellen Programm bietet die MSC auch wieder eine Vielzahl von Veranstaltungen für die interessierte Öffentlichkeit an. Die Junge GSP ist an einigen von diesen beteiligt. Eine Ausstellung im Amerikahaus zeigt die Historie der MSC. Das Medieninteresse ist wie jedes Jahr groß. Ein Pressezentraum mit 1.000 Arbeitsplätzen wird für die Berichterstattung der Journalisten eingerichtet.