Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstand im Gebiet zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer ein Machtvakuum, von dem besonders die drei ehemaligen Sozialistischen Sowjetrepubliken (SSR) im Südkaukasus Aserbaidschan, Armenien und Georgien – wird hier nicht betrachtet - betroffen waren. Ein besonderer Brennpunkt war der Dauerkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach, das international nicht anerkannt ist.
Nach Festigung der sowjetische Zentralmacht regelte diese ab 1921 die territorialen Verhältnisse im Südkaukasus. Sie griff auf ein Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan aus dem Jahre 1919 zurück. Am 7. Juli 1923 wurde Karabach ebenso wie die Autonome Republik Nachitschewan, in die Aserbaidschanische Sozialistische Sowjetrepublik, eingegliedert. In dieser Exklave leben etwa 372.000 Einwohner, mit eigener Verfassung und Parlament. Die Landverbindung zu Aserbaidschan läuft über den Sangur-Korridor durch die armenische Region Sjunik.
Einige Daten und Fakten zu beiden Ländern
Am 2. September 1991 erklärte sich die Parlamentarische Republik Armenien für unabhängig. Die Bevölkerungszahl betrug rd. 3,2 Millionen Menschen, die auf 29.740 Quadratkilometer (etwa die Größe Brandenburg) lebten. Es gibt keine Staatsreligion, circa 80 Prozent der Menschen sind christlich, davon gehören etwa 94 Prozent der armenisch-apostolischen Kirche an. In der Landwirtschaft werden Tabak- und Obstanbau betrieben, die etwa 30 Prozent des BIP ausmachen, es betrug 2022 geschätzt 19,50 Mrd. USD. Es gibt kaum Bodenschätze. Hauptstadt ist Jerewan mit rd. einer Million Einwohnern, hier residiert seit 8. Mai 2018 Premierminister Nikol Paschinjan.
Die Präsidialrepublik Aserbaidschan erklärte sich am 30. August 1991 für unabhängig. Ihre Einwohnerzahl beläuft sich auf rd. 10 Millionen, die auf 86.600 Quadratkilometer (etwa doppelt so groß wie Niedersachsen) leben. Im Westen des Landes liegt die Enklave Bergkarabach, das Gebiet umfasst etwa 14.000 Quadratkilometer, bewohnt von rund 120.000 Menschen. Die Aserbaidschaner sind zu 95 Prozent Muslime (65 % schiitisch, 35 % sunnitisch. Das Land ist reich an Ressourcen, z.B. Erdöl, Erdgas und unterschiedliche Erzvorkommen. Das BIP für 2022 betrug geschätzt 69,91 Mrd. USD. Hauptstadt ist Baku mit etwa 2,2 Millionen Einwohnern. Seit Oktober 2003 ist Ilham Alijew Staatspräsident, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Den Konfliktgründen um Bergkarabach sei ein Zitat des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe (FR. v.07.03.2001) vorangestellt, aus dem die komplexe geopolitische Situation abzulesen ist: „Die Kollision unterschiedlicher politischer und wirtschaftlicher Interessen hat zur Bildung strategischer Achsen quer durch den Kaukasus geführt: Die vertikale Achse verläuft von Russland über Armenien [Bergkarabach] nach Iran, die horizontale Achse von Zentralasien über Aserbaidschan, die Türkei bzw. die Ukraine in den Westen. Der Verlauf der Achse ist teilweise historisch, teilweise pragmatisch, vor allem jedoch machtpolitisch bedingt.“
1988/1989 brach ein Konflikt aus, als die Bevölkerung von Bergkarabach von Moskau den Anschluss an Armenien forderte. Als Reaktion auf die am 2. September 1991 erfolgte Unabhängigkeitserklärung Bergkarabachs, hob Aserbaidschan am 26. November den Autonomiestatus auf. Es kam zum ersten Krieg nach dem Zerfall der Sowjetunion, in dessen Verlauf die Karabach-Armenier mit russischer Unterstützung einen Korridor zum Mutterland Armenien bilden konnten, angrenzende Aserbaidschanische Distrikte eroberten und deren Bevölkerung vertrieben. Am 24. Mai 1994 kam es zum Waffenstillstand. Die Anzahl der Toten auf beiden wird mit über 20.000 angegeben.
In der Nacht vom 1. auf 2. April 2016 kam es entlang der Waffenstillstandslinie um Bergkarabach wieder zu Kämpfen, den schwersten seit 1994. Vier Tage hielten die Kämpfe an, bis am 5. April eine Feuerpause vereinbart wurde. Mehr als 90 Tote soll es gegeben haben. Der sogenannte „frozen conflict“ war ausgebrochen. Der militärische Erfolg Aserbaidschans ging auf den Einsatz moderner Waffen, wie z.B. Kampfdrohnen aus Israel zurück. Im Übrigen hatte sich Aserbaidschan in Russland mit Rüstungsgütern eingedeckt und seine Militärausgaben stark gesteigert. Russland gab sich zwar als Schutzmacht Armeniens aus, hatte aber nicht eingegriffen.
Vier Jahre später brechen wieder Kämpfe aus. Am 27. September 2020 fallen die ersten Schüsse an der Waffenstillstandslinie (line of contact). Der „zweite Karabach-Krieg“ wird auf einem höheren technischen Standard als der von 1991-94 geführt. Aserbaidschan hat mit modernen Waffen aus Russland, Israel und der Türkei massiv aufgerüstet. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Einnahmen aus dem Ölexport ist das möglich gewesen. Internationale Versuche die Kämpfe zu beenden, schlugen fehl. Russland gelingt es dann als „Friedensstifter“ Armenien und Aserbaidschan am 9./10. November 2020 zu Einstellung der Kampfhandlungen zu bringen. Das Ergebnis des „Friedensabkommen“ ist u.a.: armenischene Truppen ziehen sich aus besetzten Distrikten zurück, russische Friedenstruppen werden für fünf Jahre in Bergkarabach stationiert und sollen den Waffenstillstand überwachen, Flüchtlinge können unter Aufsicht der Vereinten Nationen zurückkehren. Der 44-Tage-Krieg wird in Aserbaidschan als Sieg gefeiert. Schätzungen zu Folge haben die Kämpfe etwa 4.000 Todesopfer gefordert.
Der Ausgang des Krieges und das russische Engagement zeigen deutlich, dass der Westen, z.B. die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der geostrategisch bedeutenden Region keine Rolle spielt. Russland und die Türkei sind die Akteure mit Einfluss. Geopolitisch und militär-strategisch ist der Südkaukasus für Russland Grenzregion und seit Putins Amtsantritt 2000 als „Nahes Ausland“ von bedeutendem Interesse. In verschiedenen Doktrinen zur nationalen Sicherheit ist das zu finden. Das Interesse Russland, den Einfluss der Türkei oder auch der USA auf diese Region zu minimieren ist offensichtlich. In Russland leben etwa 1,2 Millionen Armenier und Armenien hat Russlands Position bei der völkerrechtwidrigen Krim-Annexion unterstützt.
Am 19. September 2023 kommt es wieder zu einer militärischen Offensive Aserbaidschan gegen die von Baku abtrünnige Region Bergkarabach. Vorausgegangen ist eine monatelange Blockade, die die Bevölkerung, an den Rand einer Hungersnot bringt. Als „Antiterroroperation“ gegen „legitime militärische Ziele“ begründet Aserbaidschan die Angriffe. Ziel ist die die Entwaffnung und der Abzug armenische Streitkräfte aus „unseren Territorien sicherzustellen und ihre militärische Infrastruktur zu neutralisieren“, teilt das aserbaidschanische Verteidigungsministerium mit. Nach gut 24 Stunden Kampf stimmen die Verantwortlichen in Bergkarabach den Forderungen Aserbaidschans zu. Das bedeutet: Entwaffnung und Auflösung der Verteidigungsarmee, Aufnahme von Gesprächen über die „Eingliederung“ der Region ins Aserbaidschanische Staatsgebiet.
In Jerewan gibt es Proteste gegen Ministerpräsident Nikol Paschinjan, dem vorgeworfen wird die armenischen Landsleute in Bergkarabach im Stich gelassen zu haben. Schon zu Beginn und nach Beendigung der Kämpfe setzt eine große Fluchtbewegung der armenisch stämmigen Bevölkerung ein. So wie es aussieht, wird Bergkarabach nicht mehr existieren und von der Landkarte verschwinden. Im Südkaukasus werden die Karten zukünftig anders gemischt werden.
Anmerkung:
Siehe auch bei Literatur die Rezension: Aslanyan, Andranik Eduard: Energie- und geopolitische Akteure im Südkaukasus. Der Bergkarabach-Konflikt im Spannungsfeld von Interessen (1991-2015). Verlag Springer VS, Wiesbaden, ISBN 978-3-658-28515-9, 59,99 Euro.