Herausforderungen deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Herausforderungen deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Jackson Janes, Hans-Peter Bartels, Ursula Münch, Eva-Maria Kern (v.l.)

Klaus Naumann, Klaus Wittmann, Peter Tamm u.a. Teilnehmer (v.r.)

Hans-Peter Bartels, Martin Konertz, Markus Kaim, Rainer Meyer zum Felde, Caroline König, Joachim Krause (v.l.)

Unter diesen anspruchsvollen Titel haben das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und die Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Anfang Juni die Liebenberg-Konferenz durchgeführt. Benannt nach dem Tagungsort in der Mark Brandenburg, setzte sich der Teilenehmerkreis aus Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, Vertreter von Thinks Tank und Akademien, ehemaligen Soldaten, Journalisten sowie Mitgliedern der Veranstalter zusammen. Die Bundeswehr war mit Generalleutnant Markus Laubenthal vertreten. Mehrere Mitglieder des neuen GSP-Kuratoriums, u.a. Klaus Naumann, (General a.D.), Eva-Maria Kern (Universitätspräsidentin), Claus Günther (Präsident DWT) und Winfried Nachtwei (M.d.B. a.D.) nutzten die Tagung zum Gedankenaustausch mit dem GSP-Vorstand. Ziel dieser neu konzipierten Ideenkonferenz war es, mehr Klarheit über die zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu gewinnen, die auf Deutschland zu kommen.

Im Mittelpunkt der ersten Plenarsitzung mit den über fünfzig Teilnehmern standen die Fragen: Was kann man au den strategischen Irrtümern der vergangenen Jahre, lernen werden und wie sind sie künftig zu vermeiden? Andreas Heinemann-Grüder (Bonn), Hans-Peter Bartels (Berlin), Frank Umbach (Bonn), moderiert von Joachim Krause, eröffneten diese mit Statements, bevor die Teilnehmer sich einschalten konnten. Wann – spätestens – hätte den politischen Eliten klar sein müssen, dass Russland in die Ukraine einmarschiert, um das Land zu vernichten. Es wurde nie verstanden und begriffen, dass Putin seit Jahren die westlichen Gesellschaftssysteme anders sieht. Demokratie und Freiheit sind für sein autokratisches Weltbild Gefahren, denen man sich entgegenstellen muss. Seine Reden im deutschen Bundestag 2001 und spätestens bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 9. Februar 2007 hätten die politisch Verantwortlichen hellhörig machen müssen. Die Möglichkeit zu handeln hat immer bestanden. Als Beispiel kann hier die Energiepolitik angeführt werden. Gleichzeitiger Ausstieg aus Kernkraft und Kohle gab es nur in Deutschland. Damit verbundene geopolitische Risiken wurden ausgeblendet. Putin hat sie zur Wiederherstellung seiner russischen Großmachtpolitik ausgenutzt. Die politische Devise „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. Die Politik hatte gehofft, auch mit autokratischen Systemen Beziehungen führen zu können. Der Konvergenztheorie wurde angehangen, d.h. die Wirtschaftssysteme werden sich annähern. Militärische Abschreckung wurde total vernachlässigt. Wer sich an Universitäten mit Sicherheitspolitik beschäftigte, wurde verteufelt. Der Aussage von Verteidigungsminister Volker Rühe in den neunziger Jahren „Wir sind von Freunden umzingelt“, wurde zu lange vertraut. Die deutsche Verteidigungspolitik nur noch auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet. Im Weissbuch 2006 ist das nachzulesen. Festgestellt   wurde auch, dass die Industrie in außenpolitische Diskussionen/Entscheidungen zu wenig eingebunden ist. Analyse- und Erkenntnisprobleme fehlen nicht, es mangelt an der Umsetzung.

Wie soll man zukünftig mit Russland umgehen? Christoph von Marschall (Berlin) richtete sie an Klaus Naumann (Trudering), Martin Schulze Wessel (München), Thomas Kleine-Brockhoff (Berlin) und Andreas Umland (Stockholm). Wie der Krieg gegen die Ukraine endet, ob sie ihr gesamtes Territorium wieder bekommt, niemand weiß es. Durch die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO hat Russland jetzt eine circa 1300 km Grenze. Das bedeutet eine neue strategische Herausforderung. Europa muss auch nach dem Krieg weiter mit Russland auf einem Kontinent leben. Deutschland aber auf mögliche Verhandlungen nach Kriegsende vorbereitet sein. Wird Russland am Ende des Krieges noch die politische Einheit sein, die es augenblicklich ist oder ist diese Autokratie womöglich zerfallen? Russland wird sich ändern müssen, damit es wieder friedensfähig wird. Festzustellen ist aber auch, dass Kriege in Russland populär sind und Putins Zustimmungsraten, besonders nach der erfolgreichen Krimannexion, am höchsten war. Europa geht hinein in eine Konflikt- und nicht in eine Friedensordnung. Gerade deshalb ist es unabdingbar, dass die Vereinigten Staaten Sicherheitsgarant Europas bleiben. Deutschland muss aber mehr für seine eigene Sicherheit tun. Das Zwei-Prozent-Ziel des Bruttoinlandsprodukts für die Sicherheitsbelange darf nicht als hohle Phrase im Raum stehen bleiben. Positiv ist zu bewerten, dass die NATO schon ein neues Mitglied hat, Schweden wird es sicher auch noch werden, die Europäische Union fester zusammensteht und die Vereinigten Staaten bereit sind sich in Europa zu engagieren. Zur Sprache kam auch der Umgang mit Russland auf internationaler Ebene, zum Beispiel in den Vereinten Nationen (VN) als Mitglied des Sicherheitsrates und auch der Länder, die zwischen Deutschland und Russland liegen. Im Sicherheitsrat blockiert Russland jedwede Verurteilung seines Handels. Die Möglichkeit der Einrichtung eines Tribunals der der VN zur Verfolgung der begangenen Kriegsverbrechen ist allerdings nicht auszuschließen. Empfohlen wurde die Weisheit des Italieners Antonio Gramsci: Wir brauchen den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens.

Parallele Gruppensitzungen teilten die Interessen der Teilnehmer. In der einen ging es um die Lehren aus den Ukraine-Krieg Moderation Heinrich Brauß, Teilnehmer Reiner Schwalb und Gert Gawellek. In der anderen wurde unter Moderation von Burkhard Meißner von Janis Kluge und Darius O. Schindler eine Bilanz der Sanktionen gegen Russland gezogen.

Am Nachmittag stand China im Mittelpunkt, eingeleitet mit einer Plenarsitzung. Ursula Münch (Tutzing) und Hanns Maull (Berlin) versuchten Antworten auf die Fragen zu finden: Ist China nur systematischer Rivale oder schon eine Bedrohung und wie gehen wir mit China um? Vertieft wurde die lebhafte Diskussion dann in Gruppensitzungen. Eine befasste sich mit Chinas Rüstung und seinen politisch-strategischen Absichten (Sarah Kirchberger, Patricia Schneider, Klaus Wittman). Die andere betrachtete Chinas Rolle als Lieferant von Fertigprodukten, Vorprodukten und Rohstoffen und wie lassen sich Abhängigkeiten reduzieren (Christiane Heidbrink, Eva-Maria Kern, Markus Taube). Den Abschluss eines fordernden Tages leistete Kuratoriumsmitglied Markus Laubenthal beim Dinner Speech. Er erläuterte Lage und Sachstand der Bundeswehr.

Am zweiten Konferenztag wurde das transatlantische Bündnis und das Verhältnis zu den USA analysiert. Das machten (Klaus-Dieter Frankenberger (Berlin) und Jackson Janes (Washington). Abgerundet und vertieft sowie den Schlusspunkt der Liebenberg-Konferenz bildete das Thema: Wie sind die Perspektiven einer engeren militärischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und sind Möglichkeiten jenseits der NATO realistisch. Caroline König (BPA, Berlin) hatte Markus Kaim, Rainer Meyer zum Felde und Martin Konertz neben sich. Stichworte wie EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft), GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik), NATO-Strategie, Europäischer Kompass oder europäischer Pfeiler in der NATO. Koalition der Willigen, Insellösungen u.a., boten genügend Gesprächsstoff für die abschließende Diskussion.

Als Erkenntnis konnten die Teilnehmer mitnehmen: Sachliche, in komplexer Situation angelegte sicherheitspolitische Konferenzen sind selten. Die seriöse und offene Diskussion über strategische Herausforderungen der Sicherheitspolitik wird dringend gebraucht. Das Ideenexperiment ist gelungen, über eine Fortsetzung muss nachgedacht werden. Die seit Mitte des Monats öffentliche, erstmalige Nationale Sicherheitsstrategie Deutschland bietet sich als Schlüsseldokument gerade zu an.       

 Alle Fotos: Fabian Schlüter

 

Letzte News

  • 03May
    Ein Staatsakt für das Jubiläum - „Heute am 23 Mai 1949 beginnt …“

    Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz (GG) unterzeichnet. Damit wurde vor 75 Jahren wurde das Fundament unseres Zusammenlebens in einem freien und demokratischen Rechtsstaat gelegt. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 ist es Deutschlands Verfassung. Aus der Präambel konnten die Formulierungen „…seine nationale und staatliche Einheit zu wahren…“ und „Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war“ entfallen. Auch der Schlusssatz „Das gesamte…

  • 01May
    General a.D. Dr. h.c. Klaus Naumann wird 85 - Kurs halten, ohne starrsinnig zu sein

    Als Klaus Naumann am 1. Oktober 1991 den vierten goldenen Stern bekommt ist er der jüngste General der Bundeswehr. Mit zweiundfünfzig Jahren hat er den höchsten Dienstgrad und die Dienststellung des Generalinspekteurs der Bundeswehr erreicht.  Seine Karriere verlief steil, nach dreiunddreißig Dienstjahren General zu sein, dazu gehört Tüchtigkeit und Fortune.

    Naumann wird am 25. Mai 1939 in München geboren. Nach dem Abitur tritt er im Oktober 1958 in Landshut in die Bundeswehr ein. Als…

  • 23Apr
    Nutze Deine Stimme bei der Europa-Wahl - entschlossen gegen Manipulation

    Nutze Deine Stimme bei der Europa-Wahl - Entschieden und entschlossen gegen Manipulation

    Am Sonntag, dem 9. Juni findet in Deutschland, die Wahl zum Europäischen Parlament statt. In den anderen 26 Staaten der Europäischen Union (EU) beginnen die Wahlen am 6. Juni. Rund 350 Millionen Bürgerinnen und Bürger und können in unmittelbarer, freier und geheimer Wahl ihre Stimme abgeben. In Deutschland sind es etwa 64,9 Millionen, davon etwa 5,1 Millionen Erstwähler ab 16 Jahren. 720 Europaabgeordnete…

  • 15Apr
    Alte Bedrohungen mit neuen Mittel - 10. Sicherheitspol. Bodenseekongress

    Dieser fand am 13. April in Friedrichshafen im Graf-Zeppelin-Haus statt. Die renommierte drei Länder Veranstaltung sicherheitspolitischer, militärischer und wehrtechnischer Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz widmete sich dem aktuellen Thema: Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für Europa – militärisch, politisch und ökonomisch. Die militärische Sicht und Lagebeurteilung, des nun schon über zwei Jahre währenden Krieges, nahm Generalleutnant Mag. Bruno Günter Hofbauer vor.…

  • 15Apr
    Schwedens Mehrwert für die NATO - Das 32. Mitglied im Atlantischen Bündnis

    Der schwedische Premierminister Ulf Kristersson hatte mit seinem Außenminister Tobias Billström die Beitrittsurkunde seines Landes zur NATO bereits im März in Washington hinterlegt. Billström ist weiterhin unterwegs, die die Abkehr von der faktischen Neutralität Schwedens nach mehr als 200 Jahren zu begründen und den Gewinn für das atlantische Bündnis zu erläutern.

    Hierzu hatte die schwedische Botschaft in Berlin gemeinsam mit der HERTIE School zu einer Veranstaltung mit ihm Ende März…

  • 25Mar
    4. April 2024 – 75 Jahre NATO. Gemeinsinn und Neuausrichtung ist nötig

    Das 75-jährige Bestehen der North Atlantic Treaty Organisation (NATO) wäre ein guter Grund zum Feiern. Doch die sicherheitspolitische Lage in der Welt, besonders die Kriege in der Ukraine und in Gaza, sind kein Grund dafür. Die NATO ist mit Finnland (4. April 2023) und Schweden (7. März 2024) auf 32 Nationen angewachsen. Aktueller Anlass war die „Spezialoperation“ der russischen Föderation am 24. Februar 2022 in die Ukraine. Seit Wladimir Putin am 18. März 2024 wieder zum Präsidenten gewählt…

  • 12Mar
    Zypern – Ausgangspunkt für Gaza-Hilfe

    „Open Arms“ mit Hilfsgütern unterwegs

    Wieder einmal steht die östliche Mittelmeerinsel Zypern im öffentlichen Interesse.  Von der Hafenstadt Larnaka, im Südosten der Insel, ist das erste Schiff mit Hilfslieferungen Richtung Gaza in See gestochen. Die „Open Arms“, gehört einer spanischen Hilfsorganisation ist mit 200 Tonnen Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten unterwegs. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der zyprische Präsident Nikos Christodoulides waren die Antreiber für…

  • 23Feb
    Wir wählen die Freiheit – Motto bei „Cafe Kyiv“ / Die Zukunft der Ukraine in Europa

    Wir wählen die Freiheit – Motto bei „Cafe Kyiv“

    Die Zukunft der Ukraine in Europa

    „Cafe Kyiv – Wir wählen die Freiheit“: unter diesem Motto veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung am 19. Februar mit 30 Partnerorganisationen, u.a. auch der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, im Colosseum in Berlin zum zweiten Male nach 2023 ein vielseitiges Programm mit Workshops, Diskussionen, Salons und kulturellen Aktivitäten.  Themen wie Freiheit, Europa, Sicherheit und Wiederaufbau der Ukraine standen…

  • 17Feb
  • 16Feb
    Furor und Harmonie. Die Kunst der Diplomatie.

    60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) - Furor und Harmonie. Die Kunst der Diplomatie.

    Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, wird die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eröffnen. Sie findet vom 16. bis 18. Februar 2024 statt. Für das Jubiläum hat sie ihrem Kürzel-Logo eine 60 beigefügt. Gründer dieser sicherheitspolitischen Konferenz war Ewald-Heinrich von Kleist.  Unter dem Namen „Wehrkundetagung“ wurde sie 1963 erstmals in München ausgerichtet. Teilnehmer waren u.a.…

GESELLSCHAFT FÜR SICHERHEITSPOLITIK E.V.

Vereinsregister-Nr. 5684
beim Amtsgericht Bonn

KONTAKT

Hauptstadtbüro:              
Reichstagufer 14, 10117 Berlin  
Tel.: +49 (0) 30 20648549
praesident©gsp-sipo.de

Geschäftsstelle Bonn:  
Wenzelgasse 42, 53111 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 - 652556
Fax: +49 (0) 228 - 658093
geschaeftsstelle©gsp-sipo.de

GEMEINNÜTZIGKEIT

Die GSP e.V. ist  als gemeinnützig und spendenfähig anerkannt worden.

 

 

 

©  Gesellschaft für Sicherheitpolitik e.V.