Unter diesen anspruchsvollen Titel haben das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und die Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Anfang Juni die Liebenberg-Konferenz durchgeführt. Benannt nach dem Tagungsort in der Mark Brandenburg, setzte sich der Teilenehmerkreis aus Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, Vertreter von Thinks Tank und Akademien, ehemaligen Soldaten, Journalisten sowie Mitgliedern der Veranstalter zusammen. Die Bundeswehr war mit Generalleutnant Markus Laubenthal vertreten. Mehrere Mitglieder des neuen GSP-Kuratoriums, u.a. Klaus Naumann, (General a.D.), Eva-Maria Kern (Universitätspräsidentin), Claus Günther (Präsident DWT) und Winfried Nachtwei (M.d.B. a.D.) nutzten die Tagung zum Gedankenaustausch mit dem GSP-Vorstand. Ziel dieser neu konzipierten Ideenkonferenz war es, mehr Klarheit über die zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu gewinnen, die auf Deutschland zu kommen.
Im Mittelpunkt der ersten Plenarsitzung mit den über fünfzig Teilnehmern standen die Fragen: Was kann man au den strategischen Irrtümern der vergangenen Jahre, lernen werden und wie sind sie künftig zu vermeiden? Andreas Heinemann-Grüder (Bonn), Hans-Peter Bartels (Berlin), Frank Umbach (Bonn), moderiert von Joachim Krause, eröffneten diese mit Statements, bevor die Teilnehmer sich einschalten konnten. Wann – spätestens – hätte den politischen Eliten klar sein müssen, dass Russland in die Ukraine einmarschiert, um das Land zu vernichten. Es wurde nie verstanden und begriffen, dass Putin seit Jahren die westlichen Gesellschaftssysteme anders sieht. Demokratie und Freiheit sind für sein autokratisches Weltbild Gefahren, denen man sich entgegenstellen muss. Seine Reden im deutschen Bundestag 2001 und spätestens bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 9. Februar 2007 hätten die politisch Verantwortlichen hellhörig machen müssen. Die Möglichkeit zu handeln hat immer bestanden. Als Beispiel kann hier die Energiepolitik angeführt werden. Gleichzeitiger Ausstieg aus Kernkraft und Kohle gab es nur in Deutschland. Damit verbundene geopolitische Risiken wurden ausgeblendet. Putin hat sie zur Wiederherstellung seiner russischen Großmachtpolitik ausgenutzt. Die politische Devise „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. Die Politik hatte gehofft, auch mit autokratischen Systemen Beziehungen führen zu können. Der Konvergenztheorie wurde angehangen, d.h. die Wirtschaftssysteme werden sich annähern. Militärische Abschreckung wurde total vernachlässigt. Wer sich an Universitäten mit Sicherheitspolitik beschäftigte, wurde verteufelt. Der Aussage von Verteidigungsminister Volker Rühe in den neunziger Jahren „Wir sind von Freunden umzingelt“, wurde zu lange vertraut. Die deutsche Verteidigungspolitik nur noch auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet. Im Weissbuch 2006 ist das nachzulesen. Festgestellt wurde auch, dass die Industrie in außenpolitische Diskussionen/Entscheidungen zu wenig eingebunden ist. Analyse- und Erkenntnisprobleme fehlen nicht, es mangelt an der Umsetzung.
Wie soll man zukünftig mit Russland umgehen? Christoph von Marschall (Berlin) richtete sie an Klaus Naumann (Trudering), Martin Schulze Wessel (München), Thomas Kleine-Brockhoff (Berlin) und Andreas Umland (Stockholm). Wie der Krieg gegen die Ukraine endet, ob sie ihr gesamtes Territorium wieder bekommt, niemand weiß es. Durch die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO hat Russland jetzt eine circa 1300 km Grenze. Das bedeutet eine neue strategische Herausforderung. Europa muss auch nach dem Krieg weiter mit Russland auf einem Kontinent leben. Deutschland aber auf mögliche Verhandlungen nach Kriegsende vorbereitet sein. Wird Russland am Ende des Krieges noch die politische Einheit sein, die es augenblicklich ist oder ist diese Autokratie womöglich zerfallen? Russland wird sich ändern müssen, damit es wieder friedensfähig wird. Festzustellen ist aber auch, dass Kriege in Russland populär sind und Putins Zustimmungsraten, besonders nach der erfolgreichen Krimannexion, am höchsten war. Europa geht hinein in eine Konflikt- und nicht in eine Friedensordnung. Gerade deshalb ist es unabdingbar, dass die Vereinigten Staaten Sicherheitsgarant Europas bleiben. Deutschland muss aber mehr für seine eigene Sicherheit tun. Das Zwei-Prozent-Ziel des Bruttoinlandsprodukts für die Sicherheitsbelange darf nicht als hohle Phrase im Raum stehen bleiben. Positiv ist zu bewerten, dass die NATO schon ein neues Mitglied hat, Schweden wird es sicher auch noch werden, die Europäische Union fester zusammensteht und die Vereinigten Staaten bereit sind sich in Europa zu engagieren. Zur Sprache kam auch der Umgang mit Russland auf internationaler Ebene, zum Beispiel in den Vereinten Nationen (VN) als Mitglied des Sicherheitsrates und auch der Länder, die zwischen Deutschland und Russland liegen. Im Sicherheitsrat blockiert Russland jedwede Verurteilung seines Handels. Die Möglichkeit der Einrichtung eines Tribunals der der VN zur Verfolgung der begangenen Kriegsverbrechen ist allerdings nicht auszuschließen. Empfohlen wurde die Weisheit des Italieners Antonio Gramsci: Wir brauchen den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens.
Parallele Gruppensitzungen teilten die Interessen der Teilnehmer. In der einen ging es um die Lehren aus den Ukraine-Krieg Moderation Heinrich Brauß, Teilnehmer Reiner Schwalb und Gert Gawellek. In der anderen wurde unter Moderation von Burkhard Meißner von Janis Kluge und Darius O. Schindler eine Bilanz der Sanktionen gegen Russland gezogen.
Am Nachmittag stand China im Mittelpunkt, eingeleitet mit einer Plenarsitzung. Ursula Münch (Tutzing) und Hanns Maull (Berlin) versuchten Antworten auf die Fragen zu finden: Ist China nur systematischer Rivale oder schon eine Bedrohung und wie gehen wir mit China um? Vertieft wurde die lebhafte Diskussion dann in Gruppensitzungen. Eine befasste sich mit Chinas Rüstung und seinen politisch-strategischen Absichten (Sarah Kirchberger, Patricia Schneider, Klaus Wittman). Die andere betrachtete Chinas Rolle als Lieferant von Fertigprodukten, Vorprodukten und Rohstoffen und wie lassen sich Abhängigkeiten reduzieren (Christiane Heidbrink, Eva-Maria Kern, Markus Taube). Den Abschluss eines fordernden Tages leistete Kuratoriumsmitglied Markus Laubenthal beim Dinner Speech. Er erläuterte Lage und Sachstand der Bundeswehr.
Am zweiten Konferenztag wurde das transatlantische Bündnis und das Verhältnis zu den USA analysiert. Das machten (Klaus-Dieter Frankenberger (Berlin) und Jackson Janes (Washington). Abgerundet und vertieft sowie den Schlusspunkt der Liebenberg-Konferenz bildete das Thema: Wie sind die Perspektiven einer engeren militärischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und sind Möglichkeiten jenseits der NATO realistisch. Caroline König (BPA, Berlin) hatte Markus Kaim, Rainer Meyer zum Felde und Martin Konertz neben sich. Stichworte wie EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft), GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik), NATO-Strategie, Europäischer Kompass oder europäischer Pfeiler in der NATO. Koalition der Willigen, Insellösungen u.a., boten genügend Gesprächsstoff für die abschließende Diskussion.
Als Erkenntnis konnten die Teilnehmer mitnehmen: Sachliche, in komplexer Situation angelegte sicherheitspolitische Konferenzen sind selten. Die seriöse und offene Diskussion über strategische Herausforderungen der Sicherheitspolitik wird dringend gebraucht. Das Ideenexperiment ist gelungen, über eine Fortsetzung muss nachgedacht werden. Die seit Mitte des Monats öffentliche, erstmalige Nationale Sicherheitsstrategie Deutschland bietet sich als Schlüsseldokument gerade zu an.
Alle Fotos: Fabian Schlüter