Die Bundeswehr braucht eine neue Reform – diese These wurde beim 3. WebTalk der GSP am 8.12.2020 heftig diskutiert. (Die ganze Diskussion können Sie hier im Video abrufen.)
Grundlage war ein „Denkanstoß“ von Hans-Peter Bartels und Rainer Glatz, die eine durchgreifende Neuorientierung von Strukturen und Prozessen der deutschen Streitkräfte, also eine neue „Reform der Bundeswehr heute“ einfordern. Die Begründung liege – sehr verkürzt wiedergegeben – schlichtweg in der Tatsache, dass die Truppe mit Landes-/Bündnisverteidigung und internationaler Krisenintervention nun einen Doppelauftrag gleichrangig und gleichzeitig zu erfüllen habe, aber zugleich für die Aufgaben weder richtig aufgestellt noch hinreichend alimentiert sei.
Als Kernpunkte der vorgeschlagenen Reform werden – neben Vorschlägen zu geänderten Kompetenzzuordnungen im BMVg – genannt: Die Personalstärke der Truppe erhöhen; die Truppe durchhalte- und ausbildungsfähig machen, sie also voll auszustatten und ihr Personal für den Gesamtauftrag auszubilden; Verantwortung stärker zu dezentralisieren; das Paradigma „Streitkräfte prozessorientiert und betriebswirtschaftlich effizient zu führen“ kritisch zu überprüfen (was hoffentlich nicht als Empfehlung eines „ineffizienten Denken und Handelns“ zu verstehen ist); die zentrale Führungsrolle des Generalinspekteurs „auch im nachgeordneten Bereich unter Straffung der Führungsstrukturen“ zu vereinheitlichen; und schließlich – quasi als Wink mit dem Zaunpfahl – die Zahl der militärischen Organisationsbereiche zu verringern. Letzteres muss man wohl eindeutig auch als Forderung interpretieren, die im Jahr 2001 aufgestellte Streitkräftebasis wieder aufzulösen.
Die meisten dieser Vorschläge machen aus meiner Sicht durchaus Sinn – auch wenn sie nicht unbedingt neue Aspekte aufzeigen. Über vieles davon wird ja schon seit Langem gestritten, manches ist weniger einer Frage der internen Strukturen als der zugewiesenen Haushaltsmittel, und manches ließe sich durch Einzelmaßnahmen auch recht rasch lösen. „Reform“ ist freilich schon ein großes Wort!
An zwei Stellen drängen sich allerdings Fragen auf. Erstens: Würde das Ergebnis einer solchen Reform die aktuell so schwierige und bedauernswerte Lage der Bundeswehr wirklich entscheidend verbessern? Und zweitens: Stehen die Anstrengungen und Kosten, die mit einer erneuten tiefgreifenden Neugestaltung zwangsläufig verbunden sind, in einem vernünftigen Verhältnis zum erhofften Ertrag? Ist also wirklich klar, was etwa eine Auflösung der SKB (um nur das drastischste Beispiel zu nennen) für das betroffene Personal, für die nun endlich etablierten Verfahrensprozesse und generell für das erworbene TSK-übergreifende Know-how bedeutet – etwa im Bereich der Logistik oder der Führungsunterstützung? Wird da nicht allzu vieles von dem wieder eingerissen, das Truppe und Stäbe 20 Jahre lang mühsam aufgebaut haben und sich nun endlich verfestigt hat? Und würde es nicht für den gewiss längeren Zeitraum der Reformumsetzung bedeuten, die ohnehin notleidende Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erneut empfindlich zu beeinträchtigen? Hier braucht man schon Antworten, bevor man sich auf ein erneutes Abenteuer „Reform der Bundeswehr“ einlässt.
Einen zentralen Aspekt will ich an dieser Stelle auch noch zur Diskussion stellen: Die politisch vorgegebene „Gleichrangigkeit“ der beiden genannten Doppelaufgaben der Bundeswehr, also Landes-/Bündnisverteidigung auf der einen und Beiträge zu internationalem Krisenmanagement auf der anderen Seite. Beide Aufgaben sind in der Tat wichtig, da gibt es kaum Zweifel. Aber sind – vor dem Hintergrund knappster Ressourcen – auch beide parallel und in der gleichen Intensität von der Truppe leistbar, dies nach dem Prinzip „Single Set of Forces“? Generell: Stimmen Auftrag der Bundeswehr und dafür verfügbare Mittel überein? Das lässt sich aus vielerlei Gründen bezweifeln. Daher drängt sich – statt oder auch neben einer internen Reform – der Bedarf einer konsequenten Priorisierung auf, also eine Art „Aufgabenreform“.
Das wiederum zwingt zu einer Analyse, welche Aufgabe den größten Ertrag in der Währung „Sicherheitsvorsorge für Deutschland und Europa“ erbringt. Dieser Gedanke verlangt natürlich eine eingehende Abstimmung mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern. Es geht dann mehr denn je um eine vernünftig durchdachte Arbeitsteilung. Denn wenn jeder alles können und überall mitmachen zu müssen glaubt, dann kommt im Ergebnis viel zu wenig heraus. Als Fazit dieser Überlegung lässt sich die These vertreten: Deutschland als größte und wichtigste europäische Kontinentalmacht innerhalb des Bündnisses sollte sich auf die kollektive Verteidigung im transatlantischen und europäischen Rahmen konzentrieren. Das ist die Hauptaufgabe, sowohl als die anspruchsvollste gilt als auch derzeit die größten Defizite aufweist. Und dies nicht nur, weil die Bundeswehr hier sehr viel verlorenes Know-how erneut aufbauen muss, sondern auch weil „Bündnisverteidigung heute“ mit Blick etwa auf geostrategische Bedingungen oder auf moderne Kriegsbilder keineswegs identisch ist mit „Bündnisverteidigung früher“. Es gibt also sehr viel zu tun, um den an uns gerichteten Ansprüchen – vor allem auch von den USA – wenigstens annähernd gerecht zu werden. Die so zwingende wie unangenehme Konsequenz lautet: Neben der Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung bleibt alles andere auch wichtig für uns, ist aber im Zweifel nachrangig.
Damit sind einige der besonders diskussionswürdigen Aspekte der gegenwärtigen Diskussion um die Bundeswehr genannt, ebenso wie unterschiedliche Lösungsansätze. Wenn also die aktuelle Problemlage etwas Gutes hat, dann dies: Die strategische Debatte nimmt Fahrt auf. Gut so.
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